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GastbeitragBürgerenergie im Wandel

Bürgerenergiekonvent im Morgensternhaus Fulda
Mit dem Fortschreiten der Energiewende wandelt sich auch die Rolle der Bürgerenergie. ( Foto: Martha Hoffmann)

Die Nähe von Energiegemeinschaften zu den Menschen vor Ort ist ein wertvoller Erfolgsfaktor für die Energiewende. Aber Bürgerenergie auf die Rolle des Akzeptanzbringers zu reduzieren, wäre falsch. Ein praxisnaher rechtlicher Rahmen und Professionalisierung sind die Aufgaben im Wandel.

19.10.2022 – Der Umbau des Energiesystems ist in vollem Gange. Die Klima- und Energiekrise erhöhen den Veränderungsdruck massiv. Erneuerbare Energien werden wieder vermehrt zugebaut. Und mit der Elektrifizierung von Wärmepumpen und Elektroautos verflechten sich die Energiesektoren immer weiter.

Die Transformation führt dabei unweigerlich auch zu weiteren Verschiebungen bei den beteiligten Akteuren im Energiemarkt. Die Relevanz der Bürger:innenenergie wandelt sich. Aber wohin geht die Reise? Was sind die Perspektiven? Welche Rolle können und sollten Bürgerinnen und Bürger im klimaneutralem Stromsystem spielen? Und was braucht die Bürger:innenenergie, um ihren Beitrag zur Transformation des Energiesystems leisten zu können?

Bürger:innenenergie - Initiatoren der Energiewende

Zunächst hilft ein Blick zurück. Die Anfänge der Energiewende vor 20 oder 30 Jahren waren geprägt vom Engagement von Bürgerinnen und Bürgern. Sie bauten erste PV-Anlagen auf ihren Hausdächern und errichteten die ersten Bürgerwindparks und Nahwärmenetze. Ermöglicht durch das Stromeinspeisegesetz zeigten sie, dass die Erneuerbaren Energien ein reales Potential darstellen, die Stromversorgung ökologisch zu gestalten – und dabei auch wirtschaftlich zu sein. Die Bürgerinnen und Bürger haben als stille, gesellschaftliche Bewegung einen signifikanten großen Bruch mit dem fossilen und atomaren Energiesystem provoziert. Mehr noch: Die Bürger:innenenergie hat die Erneuerbaren für die Wirtschaft und Politik salonfähig gemacht und im Kontext der Energiewende zu einem Anstieg des Erneuerbaren Anteils an der Stromversorgung gesorgt.

Mühsame Jahre gestärkt überstanden

Über die Jahre wurde der Beitrag der Bürger:innenenergie erst ignoriert, dann belächelt und schließlich ab den 2010er-Jahren mehr oder weniger explizit bekämpft. Veränderte regulatorische Rahmenbedingungen führten zur Drosselung des Ausbaus und auch zur vorübergehenden Zurückdrängung der Bürger:innenenergie – etwa sichtbar beim Rückgang neugegründeter Energiegenossenschaften oder sinkenden Anteilen bei bürger:innenbetriebenen erneuerbaren Energieanlagen.

Das Engagement ging unter erschwerten Bedingungen dennoch weiter. Anders als beispielsweise die PV-Industrie am Standort Deutschland hat sich die Bürger:innenenergie über die Jahre als Akteur:in auf dem Energiemarkt halten können und weiter emanzipiert. Vor allem haben sich die Tätigkeitsfelder der Bürgerenergie sich in dieser Zeit enorm ausgeweitet. Mieterstrom, Speicher, Energieversorgung und Mobilitätskonzepte – die Angebote der Bürgerenergie-Akteure:innen gehen mehr und mehr in die Breite.

Die nun durch die neue Bundesregierung vollzogene Kurskorrektur und die geplante Beschleunigung bei der Energiewende sind auch für Bürgerenergie-Akteur:innen deutlich spürbar. Es tut sich was. Das Interesse an gemeinsamen Projekten und die Lust der Leute, sich zu beteiligen, steigt in den letzten Monaten sichtbar an. Zugleich werden wieder mehr Energieprojekte angeschoben und neue Flächen akquiriert.

Neue Aufmerksamkeit für die Bürger:innenenergie

Besonders auffällig ist jedoch die gestiegene Aufmerksamkeit für die Bürger:innenenergie. Kommunen, Stadtwerke oder Projektierer suchen vermehrt nach Kontakten und Kooperationen. Die aktuelle Krisen-Lage hat zusätzlich einen Schaffensdruck hergestellt, der die Bürger:innenenergie als Ansprechpartner:in attraktiv macht.

Ein wesentlicher Treiber dabei ist die Nähe der Bürger:innenenergie zu den Menschen vor Ort. So wie die neuen Energietechnologien im Lebensumfeld der Menschen präsenter werden, steigt auch der Bedarf, die Leute vor Ort mitzunehmen und sie als Unterstützer:innen zu gewinnen. Energiegenossenschaften und andre Bürgerenergie-Gemeinschaften sind vor Ort gut vernetzt. Sie kennen Verantwortliche in den lokalen Behörden und vor allem auch die Bedürfnisse und Eigenheiten der heimischen Betriebe und Bevölkerung. Zudem sind sie vielerorts selbst Lösungsanbieter für die Energieversorgung.

Es geht um Partnerschaften auf Augenhöhe

Aus diesem Grund wollen sich bürgerlich betriebene Energiegemeinschaften auch nicht auf die Rolle der „Akteptanzbringer“ reduzieren lassen, wie gegenwärtig oftmals suggeriert wird. Die Bürger:innenenergie will und wird kein Feigenblatt sein, um externen Unternehmen die Brücke zu den Menschen vor Ort zu bauen. Ihr Anspruch ist ein anderer. Es geht um Partnerschaften auf Augenhöhe und um konkrete Lösungen und Beiträge für die Transformation des Energiesystems. Auf den Punkt gebracht: Die Bürgerenerige-Akteur:innen sehen sich selbst als die Vor-Ort-Expert:innen im Energiesystem. Dieser Rolle wollen sie gerecht werden.

Dass die Bürgerenergie auch in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielt, zeigt auch eine aktuelle Umfrage, die das Graduiertenkolleg der Reiner Lemoine Stiftung im Juli 2022 durchgeführt hat. Demnach sehen Energie-Expert:innen einen besonders hohen Aufholbedarf bei gesellschaftspolitischen Aspekten der Energiewende. Die Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen in Energiewendeprozessen, eine gerechte Kosten-Nutzen-Verteilung und auch die Teilhabemodelle werden eine essenzielle Bedeutung für die Gestaltung des klimaneutralen Stromsystems beigemessen. Rund 70 Prozent der Expert:innen sehen Handlungsbedarfe, die Bedingungen der Bürger:innenenergie weiter zu verbessern, weil sie sie für wichtig halten.

Perspektiven der Bürgerenergie im klimaneutralen Stromsystem

Gerade wenn man das klimaneutrale Stromsystem vom Ziel her denkt, wird die Bürger:innenenergie eine zentrale Rolle einnehmen müssen. Denn sie wird dabei helfen, das immer dezentralere Energiesystem von unten her „bottom-up“ zu denken und umzusetzen. Die Vor-Ort-Ebene wird insgesamt einen wertvollen Beitrag leisten müssen, um Flächen zu gewinnen oder die Energieerzeugung und den -verbrauch lokal zu koppeln. Verbrauchssenken und -quellen sowie Flexibilität werden ebenso zu den Lösungen gehören wie die gemeinschaftliche, regionale Energieversorgung inklusive Speicherung und Verteilung.

Dabei wird die Rolle der Bürger:innenenergie in Zukunft noch weiter über die Versorgung mit Strom hinaus gehen als heute schon. Im Wärmesektor liefert sie wichtige Beiträge für die Bereitstellung von Nahwärme. Durch Energy Sharing werden zukünftig lokale Wertschätzungskreisläufe geschlossen. Quartierlösungen, an denen auch die Menschen vor Ort sich beteiligen können, werden die Transformation noch weiter in die Großstädte bringen. Und neben diesen Versorgungskonzepten mit Strom und Wärme leisten die Energiegemeinschaften einen wichtigen Beitrag zur Mobilitätswende – von der Ladeinfrastruktur bis hin zu Car-Sharing-Angeboten in gemeinschaftlichen Ansätzen. Diese Breite an teilweise bereits bestehenden Angeboten wird sich in Zukunft noch vertiefen. Damit wird die Bürger:innenenergie einen wertvollen Beitrag zum klimaneutralen Strom- und Energiesystem der Zukunft leisten.

Was die Bürgerenergie nun braucht

Die Bürgerenergie ist auf einem guten Weg. Diese Entwicklung wird getragen vom Willen und Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Aber sie braucht ein gutes Umfeld, um ihrer neuen Rolle gerecht werden zu können. Auch viele Expert:innen sehen hier einen hohen Aufholbedarf der Politik, wie eine Umfrage im Rahmen der Studie „Leitplanken für die Gestaltung des Klimaneutralen Stromsystems“ zeigte. Um die Bürger:innenenergie zu unterstützen und einen Weg in ein gemeinschaftlich aufgebautes Stromsystem zu ebnen, braucht es flankierende Maßnahmen. Die drei wichtigsten sind:

  1. Der rechtliche Rahmen für Bürger:innenenergie muss erleichtert werden. Dazu gehört eine gezielte Einbindung der Bürger:innenenergie in das zukünftige Strommarktdesign. Partizipationsoptionen müssen breit angelegt sein. Eine rechtliche Umsetzung von dezentralen Lösungen muss weiter vorangebracht werden. Dazu gehört etwa das Energy Sharing. Ferner braucht es Erleichterungen bei den rechtlichen Anforderungen, etwa bei der Gründung von Energiegemeinschaften. Im Sinne der Risikoabfederung bei Investitionen helfen finanzielle Maßnahmen, etwa in Form von KfW-Krediten für Projekte von Energiegemeinschaften sowie eine finanzielle Unterstützung ihrer Tätigkeiten, bis hin zu Unterstützungen bei der Durchführung von Machbarkeitsstudien, um die Projektumsetzung zu vereinfachen.
  2. Eine Professionalisierung der Bürger:innenenergie kann Abläufe beschleunigen. Durch eine noch stärkere Vernetzung untereinander sowie durch die Schaffung von hauptamtlichen Stellen können Energiegemeinschaften aus dem Ehrenamt gehoben werden. Dadurch können sie zu ihre Rolle als lokale Expert:innen in den verschiedenen Bereichen der Energieversorgung ausbauen, und auch in einer Hand Projekte planen und durchführen.
  3. Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit kann die Bürger:innenenergie wertvoll unterstützen, beispielsweise mit einer breit aufgestellten Kampagne, die in alle Bevölkerungsschichten ausstrahlt. Die Rolle und der Anspruch der Bürger:innenenergie sollten getragen werden von einer guten Kommunikationsstrategie, welche die Begeisterung für die Selbstversorgung weit verbreitet. Eine genossenschaftliche Entwicklung und Finanzierung der vielfältigen Energieprojekte stärkt die Bürger:innen in einer gelebten Energiedemokratie.

Schon lange war klar: Es braucht die Bürger:innenenergie, damit die Energiewende gelingen kann. Sie war der Initiator und hat die Entwicklung maßgeblich getragen. In die Zukunft gerichtet passt diese Erkenntnis ebenso. Ein klimaneutrales Energiesystem wird es nur geben, wenn Bürgerinnen und Bürger aktiv eingebunden sind und ihren Beitrag dazu leisten. Das gemeinsame Ziel muss daher lauten, die Bürger:innenenergie als Vor-Ort-Expert:innen weiter zu etablieren.

Der Artikel ist ein Gastbeitrag von Martha Hoffmann und Fabian Zuber: Martha Hoffmann ist Stipendiatin am Graduiertenkolleg der Reiner Lemoine Stiftung. Sie beschäftigt sich damit, wie man soziale Aspekte und Gerechtigkeitsfragen mit in die Energiewendeplanung einbeziehen kann. Fabian Zuber koordiniert die Projekte der Reiner Lemoine Stiftung. Mit der Bürger:innenenergie verbindet ihn zum Beispiel seine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied des Bündnis Bürgerenergie e.V.

Danksagung

Die Inhalte dieses Meinungsbeitrages sind die Ergebnisse unseres Workshops „Bürgerenergie im Klimaneutralen Stromsystem“, welchen wir auf dem Bürgerenergiekonvent 2022 halten durften. Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden für die eingebrachten Beobachtungen und Erfahrungen und die regen Diskussionen.


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