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Klimaklage





COP27Zu wenig Einsatz gegen die Emissionen der Ernährung

Massenhaft Truthähne in einem Stall
Tausende Truthähne, eng zusammengepfercht, für das jährliche Thanksgiving in den USA. Besitzer des Stalls ist das US-amerikanische Unternehmen Butterball. (Bild: Mercy for Animals, Wikimedia Commons, CC BY 2.0)   

Die Reduzierung der Emissionen im Ernährungssystem ist Teil der Debatte auf der Klimakonferenz. Ein breites Bündnis warnt jedoch vor einem zu engen Fokus auf die Landwirtschaft. Es gelte das gesamte System ins Blickfeld zu nehmen.

17.11.2022 – Lange spielte der Lebensmittelsektor auf Klimakonferenzen eine untergeordnete Rolle. Dabei ist das gesamte Ernährungssystem für 34 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, wie die FAO – die Food and Agriculture Organization of the United Nations – mit Verweis auf eine eigene Studie in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnern im letzten Jahr mitteilte. Dabei geht der Anteil an den weltweiten Emissionen zwar seit Jahren zurück, aber der absolute Ausstoß an Emissionen steigt, ebenso wie in anderen Sektoren. 18 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente waren es laut Studie im Jahr 2015.

Auf der 23 Klimakonferenz in Bonn 2017 gründete sich schließlich das sogenannte „Koronivia Joint Network on Agriculture“, in dem weitere Schritte beschlossen wurden, in den kommenden Jahren einen Fahrplan zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft zu beschließen. Ein entsprechender Bericht der Arbeitsgruppe sollte eigentlich schon bei der COP26 in Glasgow veröffentlicht werden. Doch aufgrund der Coronapandemie wurde die Veröffentlichung des Berichts auf die diesjährige COP in Ägypten verschoben.

Letzten Freitag gelangte ein erster Entwurf an die Öffentlichkeit. Eine Koalition globaler Organisationen – wie dem WWF, Club of Rome und Care – warnt jedoch, dass der vorliegende Entwurf nicht weit genug gefasst ist und lediglich die landwirtschaftliche Praxis umfasst. Tatsächlich sind 71 Prozent der Emissionen auf die Landwirtschaft zurückzuführen, was sowohl Anbau von Lebensmitteln, die Viehzucht als auch Landinanspruchnahme umfasst. Einen erheblichen Anteil davon machen die Methanemissionen aus Viehzucht und Reisanbau aus, wie aus der Studie der FAO hervorgeht.

Doch fast ein Drittel der Emissionen aus dem Ernährungssektor wären mit dem vorliegenden Entwurf nicht abgebildet. Martina Fleckenstein, die für den WWF International die COP-Verhandlungen begleitet, kritisiert: „Wenn das neue Mandat einen engen Fokus auf die Landwirtschaft hat, dann bleiben wichtige Handlungsfelder mit großem Potenzial zur Reduktion von Treibhausgasen bei künftigen Klimakonferenzen außen vor. Das neue Mandat muss das gesamte Ernährungssystem betrachten.“ Es gelte unter anderem nachhaltige Lebensmittelproduktion, Ernährung und Ernährungsumstellung sowie Lebensmittelverschwendung in den Blick zu nehmen.

Die weiteren Probleme

Allein in Deutschland werden 30 Prozent aller Lebensmittel weggeworfen. Wie die Verbraucherzentrale mitteilt, verursacht vermeidbarer Lebensmittelmüll in der Europäischen Union die gleiche Menge klimaschädlicher Gase, wie die gesamte Niederlande pro Jahr freisetzt. Und der WWF Deutschland schätzt, dass durch vermeidbare Lebensmittelverluste eine Fläche von über 2,6 Millionen Hektar eingespart werden könnte. Das wären fast 15 Prozent der gesamten Fläche, die wir in Deutschland für unsere Ernährung benötigen.

Während die Gruppe „Letzte Generation“ Anfang des Jahres mit Straßenblockaden gegen die Lebensmittelverschwendung demonstrierte, kündigte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir Verbesserungen an. Man wolle die Lebensmittelverschwendung in der gesamten Wertschöpfungskette - vom Feld bis zum Handel – reduzieren, so Özdemir. Es reiche nicht, weiter auf freiwillige Vereinbarungen zu setzen, wie es die Vorgängerregierung gemacht habe. Özdemir hält auch die Strafbarkeit von Containern, also das Herausnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Supermarkt-Abfallcontainern, für absurd. Doch konkrete Gesetzesinitiativen gibt es bis heute nicht.

Zudem müssten Fleischprodukte nachhaltiger produziert werden und insgesamt dessen Konsum sinken. Eine Studie der Universität Bonn kommt dabei zu dem Schluss, dass der Fleischkonsum der Industrienationen um 75 Prozent sinken sollte, um die globale Ernährung sicherzustellen. Auch der übermäßige Konsum von Milchprodukten schädigt das Klima. Allein die 20 größten Fleisch- und Molkereiunternehmen der Europäischen Union produzieren fast ein Drittel mehr Treibhausgasemissionen als die Niederlande. Und nur 10 von ihnen haben Klimapläne vorgelegt, die aufzeigen, wie sie CO2-neutral werden können.

Ein weiteres Problem ist das Fehlen effektiver Kühlketten, vor allem in Entwicklungsländern. Laut eines Berichts des UN-Umweltprogramms könnten jährlich 144 Millionen Tonnen Lebensmittel eingespart werden, wenn der Globale Süden gleich gute Kühlketteninfrastruktur für Lebensmittel hätte, wie die Industriestaaten des Globalen Nordens. Ein Problem überall auf der Welt ist zudem der durch die Lebensmittelindustrie induzierte Plastikkonsum. Und der ist nicht nur bei der Entsorgung extrem umwelt- und klimaschädlich, sondern auch bei der Produktion. Allein in Europa geht 40 Prozent der Plastikproduktion für Einwegplastik drauf. Eine Verringerung von 50 Prozent bei Kunststoffverpackungsabfällen und eine Recycling-Rate von 90 Prozent würden demnach zu einer Verringerung von rund 6,2 Milliarden Kubikmeter Gas und 8,7 Millionen Tonnen Öl auf EU-Ebene führen, so die Autor:innen eines Berichts mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen.

WWF, Club of Rome, Care und Co. fordern in einem gemeinsamen Brief an die Verhandlungsführer, dass diese die Klimakonferenz nicht ohne einen klaren Plan verlassen dürfen, so schnell wie möglich Lösungen zu erarbeiten, für ein nachhaltiges Ernährungssystem, dass zugleich eine sichere Ernährung für die Weltbevölkerung darstellt. mg

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