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Die Meinung
08. August 2023

„Jein“ zu EU-Standards für Nachhaltigkeits-berichterstattung

Die neuen Regeln zur Nachhaltigkeitsberichterstattung erfüllen nicht die Erwartungen bereits nachhaltig wirtschaftender Unternehmen. Besonders enttäuschend: 99 Prozent der Unternehmen bleibt es auf lange Zeit freigestellt, wie genau sie über ihren Klimaeinfluss berichten.

Lukas Fox, Politischer Referent beim Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V.

Lukas Fox, Politischer Referent beim Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V.
Foto: Caro Hoene / BNW e.V.

Müssen zukünftig alle Unternehmen dieselben Standards ansetzen, dieselbe Arbeit in ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung stecken, wie die Nachhaltigkeitspioniere es schon seit Jahren tun? Sollte damit die Schwelle zu fairen Wettbewerbsbedingungen für nachhaltige Unternehmen tatsächlich überschritten werden? Die Erwartungen, die viele schon heute nachhaltig wirtschaftende Unternehmen an die letzte Woche verabschiedeten Europäischen Standards gestellt hatten, sind nicht erfüllt worden. Dennoch gibt es auch Hoffnungsschimmer.

Wir als Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft sind davon überzeugt: Wenn Unternehmen klare und konsequente Nachhaltigkeitsprinzipien verfolgen, können sie ein riesiger Hebel in eine sozial-ökologisch transformierte Welt sein. Was sie dafür zwingend brauchen, ist eine Übersicht darüber, welche Auswirkungen die eigene Geschäftstätigkeit auf die Natur, das Klima, die Angestellten und die Gesellschaft hat – und welche Auswirkungen die Klimakrise, der Verlust an biologischer Vielfalt oder sozialer Wandel auf das eigene Unternehmen haben. Unsere Mitglieder sind sich dessen schon lange bewusst. Daher gehört eine ausführliche Nachhaltigkeitsberichterstattung bei vielen BNW-Mitgliedsunternehmen zum Tagesgeschäft. Mit der Veröffentlichung des CSRD-Rechtsakts im Dezember 2022 war die Hoffnung auf Seiten der nachhaltigen Wirtschaft entsprechend groß, dass sich nun auch die Wirtschaft insgesamt, also alle Unternehmen mit den Konsequenzen ihres Tuns auseinandersetzen müssten. Mit den letzte Woche veröffentlichten und bald verabschiedeten Standards der Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS Set 1) ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung mehr Transparenz unternommen worden. Wer sich die Standards genauer anschaut, kommt allerdings zu dem Schluss: Jein, leider nicht wirklich. Die Kommission hat sich auf einen mageren Kompromiss eingelassen, der die Non-financial Reporting Directive (NFDR) zwar deutlich ausweitet, doch weit unter den Erwartungen der nachhaltigen Wirtschaft bleibt.

Wer muss überhaupt berichten?

Was die mit Abstand größte Gruppe von Unternehmen in Deutschland und der EU angeht, hat die neue Direktive versagt:  Nicht-börsennotierte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) werden nun endgültig von der CSRD-Berichterstattung ausgenommen. Doch damit nicht genug. Statt der ursprünglich geplanten etwa 50.000 EU-Unternehmen mit über 250 Mitarbeiter:innen, müssen nun nur die Unternehmen mit über 500 Mitarbeiter:innen einen CSRD-konformen Nachhaltigkeitsbericht erstellen. Damit fehlt das große, umfassende Bekenntnis zur Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele durch die EU.

Was muss berichtet werden?

Die Aufweichung der Wesentlichkeitsanalyse, bei der Unternehmen im Grunde selbst festlegen können, welche Geschäftstätigkeiten überhaupt Auswirkung auf Umwelt, Klima oder Mitarbeiter:innenwohl hat, ergo berichtspflichtig sind, wird von der Kommission als „Beseitigung unnötiger Belastung“ kommuniziert. Als Vertreter nachhaltig wirtschaftender Unternehmen können wir dazu nur sagen: Dieser Schritt führt die Nachhaltigkeitsberichterstattung ad absurdum! Um eine nachhaltige Berichterstattung zu gewährleisten, wie es ursprünglich die Idee war, ist es notwendig, eine Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen, die sowohl alle ökologischen als auch alle sozialen Aspekte berücksichtigt. Diese Analyse ist auch für das Risikomanagement der Unternehmen wichtig. Sie hilft Unternehmen, Risiken zu identifizieren und zu bewerten und ermöglicht es ihnen, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Risiken zu mindern. Unternehmen, die keine solche Analyse durchführen, sind einem höheren Risiko ausgesetzt, von unerwarteten (und erwartbaren Klima-)Ereignissen getroffen zu werden, die zu hohen Kosten führen können.

Wie tief geht das Reporting?

Dass ein Unternehmen deutlich erläutern muss, warum ein Klimaaspekt für das Unternehmen als nicht wesentlich analysiert wurde, ist gut. Allerdings wird dieser Rechtfertigungszwang für alle anderen der Wesentlichkeitsanalyse unterliegenden Datenpunkte als freiwillig erklärt. Das ist mit Entschärfung des Berichtsaufwandes nicht mehr zu erklären – das ist ein Freifahrtschein für ein „Weiter so“, weiter so mit der Ausbeutung von Natur und Menschen.

Auch dass es Unternehmen mit unter 750 Mitarbeiter:innen gestattet wird die Berichterstattung über ihre Scope 3 Emissionen in den ersten berichtspflichtigen Jahren (theoretisch bis 2028!) auszulassen, ist für uns absolut unverständlich. Diese indirekten Emissionen innerhalb der Wertschöpfungskette, haben regelmäßig den größten Anteil der Treibhausgasemissionen von Unternehmen. Diese nun bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung auszulassen, führt zwar vermeintlich zu weniger Aufwand, doch der Effekt einer solchen Berichterstattung wird auch deutlich geringer und kommt viel zu spät. Dazu kommt, dass Unternehmen mit weniger als 750 Mitarbeiter:innen den allergrößten Teil der europäischen Unternehmen ausmachen. Damit wird es 99 Prozent der Unternehmen auf lange Zeit freigestellt, über den größten Anteil ihres Klimaeinflusses Bericht zu erstatten.

Eine weitere vermeintliche Entlastung von mit Nachhaltigkeitsberichterstattung unerfahrenen Unternehmen - die Auslassung der Berichtspflichten für finanzielle Auswirkungen im Zusammenhang mit Umweltproblemen (Umweltverschmutzung, Wasser, biologische Vielfalt und Ressourcennutzung), sowie in Bezug auf die eigene Belegschaft im ersten Jahr - könnte sich am Ende als Boomerang herausstellen: Viele unser Mitgliedsunternehmen haben die Erfahrung gemacht, dass sich nach einem ausführlichen und ganzheitlichen initialen Reporting Aufwand, Kosten und Zeit erheblich reduzieren. Je schneller die Verantwortlichen sich an den Umfang, die Rahmenbedingungen und Standards, so wie die in die Berichterstattung eingeschlossenen Scopes, gewöhnen, desto schneller und effizienter können zukünftige Berichte erstellt werden. Denn sonst würden mit jedem neuen Berichterstattungszeitraum neue Standards und Datenpunkte hinzukommen.

Was muss jetzt geschehen?

Was als große Maßnahme mit dem Ziel begann, private Gelder in nachhaltige Wirtschaftsunternehmen umzulenken, um die SDG und die eigenen EU-Klimaziele zu erreichen, erweist sich nach und nach als verwässertes virtue signaling (Zurschaustellen moralischer Werte) mit Hang zum Greenwashing und fragwürdiger Lenkungswirkung. Hätte die EU von Anfang an konsequente Standards gesetzt, diese frühzeitig, klug und niedrigschwellig kommuniziert, Unternehmen und den Mitgliedsstaaten Hilfestellung angeboten, so könnten wir heute von einem echten Meilenstein reden.

Die ESRS und damit die CSRD bieten nämlich im Grunde alle Möglichkeiten, die europäische Wirtschaft und deren Unternehmen auf eine nachhaltige Weise zu gestalten, die auf einer klaren Wesentlichkeitsanalyse und einer transparenten Berichterstattung basiert. Durch die globalen Finanz- und Lieferketten könnte sie weltweit zu modernen und gesunden Wirtschaftsprozessen führen, die den Herausforderungen dieser Zeit gerecht werden. Nun liegt es schlussendlich bei den Mitgliedsstaaten, dass die nationale Umsetzung der CSRD die von der EU vorgegebenen Mindeststandards verschärft und klare strenge Regeln für die Prüfung der Berichterstattung festlegt.

Wir haben daher zwei Forderungen:

1. Die Mindeststandards als das zu behandeln, was sie sind: das Mindeste, was Unternehmen erfüllen müssen.

2. Für die Unternehmen sollte eine Anlaufstelle geschaffen werden, die bislang unerfahrenen Unternehmen Leitfäden und Hilfestellungen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung bietet, analog zum Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung. Die Endprüfung der Berichte muss in deutschem Recht streng geregelt sein und mit einer Entflechtung von Wirtschaftsprüfung und -beratung einhergehen. Nur so wird diese verwässerte Version ihre Wirksamkeit zurückerhalten und einer echten sozial-ökologischen Transformation den Weg bahnen.

Der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW) ist die politische Stimme der nachhaltigen Wirtschaft und setzt sich seit 1992 als unabhängiger Unternehmensverband für den Umwelt- und Klimaschutz ein. Mit seinen mehr als 650 Mitgliedsunternehmen steht der BNW inzwischen für mehr als 150.000 Arbeitsplätze.




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