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Die Meinung
10. Februar 2021

Wasserstoff: Der Stoff, aus dem die Träume der Gaslobby sind

In Deutschland und in der EU macht die Gaslobby mächtigen Druck für den Erhalt ihres fossilen Geschäftsmodells – dabei ist es ihr gelungen, dass Wasserstoff eine zentrale Rolle in der Energiewende zugeschrieben wird.

Nina Katzemich ist Politologin und widmet sich seit 2009 bei LobbyControl in Köln dem Thema Lobbyismus in Brüssel.

Nina Katzemich ist Politologin und widmet sich seit 2009 bei LobbyControl in Köln dem Thema Lobbyismus in Brüssel.
Foto: LobbyControl

10.02.2021 – Wasserstoff wird derzeit zum Wundermittel im Kampf gegen den Klimawandel stilisiert. Zahlreiche Industrien sehen ihn als Lösung für die Energiewende. Denn er weckt bei vielen Branchen die Hoffnung, ihr bisheriges Geschäft mit ein paar kleineren Veränderungen einfach weiterführen zu können. So hoffen manche Akteure der Automobillobby, durch seine Nutzung mit Hilfe von so genannten „e-fuels“, also synthetischen Kraftstoffen, die Zukunft des Verbrennungsmotors retten zu können. Auch die Immobilienwirtschaft würde gerne deutlich weniger dämmen und dafür Häuser, die nicht auf dem neuesten Energiestandard sind, mit ihm beheizen. Und die Gasindustrie könnte ihr Geschäftsmodell auf Jahre verlängern, indem sie den enormen Durst nach dem Gas mit ihrem fossilen Brennstoff stillt.

Keine Frage, der Stoff ist ein Baustein für den Klimaschutz. Doch je größer der Durst nach ihm wird, umso mehr profitiert vor allem einer: die Gasindustrie. Bei der Umwandlung von Wasserstoff in Strom fällt als einziges Abfallprodukt Wasser an, also kein CO2; Wasserstoff ist außerdem vergleichsweise einfach zu lagern und zu transportieren. Allerdings ist er nur dann klimafreundlich, wenn er aus erneuerbaren Energien hergestellt wird (so genannter „grüner“ Wasserstoff).

Der Energieaufwand seiner Gewinnung ist hoch – ExpertInnen sprechen von bis zu acht Mal so viel Energie, als wenn man erneuerbare Energien direkt nutzen würde. Den für die Energiewende durchaus wichtigen Stoff sollte man deshalb vernünftigerweise nur dort einsetzen, wo es keine andere Möglichkeit gibt. Zu nennen sind hier vor allem die Stahl- und die Chemieindustrie, Flugzeuge oder eventuell auch große Nutzfahrzeuge.

Doch unklar ist bislang, ob und wann es je genügend Strom aus der erneuerbaren Wasser-, Wind und Solarkraft geben wird, um den gigantischen Bedarf zu stillen. Hier kommt die Gasindustrie ins Spiel. Denn bisher wird ein Großteil des derzeit genutzten Wasserstoffs mit Erdgas hergestellt. So könnte es auch noch lange bleiben, wenn es nach dem Willen der Industrie geht: Im Juni 2020 forderte eine Koalition von Unternehmen und Verbänden in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass eine Wasserstoffstrategie alle Arten von Wasserstoff miteinbeziehen sollte, auch sogenannten blauen Wasserstoff. Blau wird Wasserstoff genannt, der aus Erdgas hergestellt wird. Das Argument: Da es bisher so wenig grünen Wasserstoff gibt, soll mit blauem Wasserstoff eine Wasserstoffinfrastruktur aufgebaut und dieser dann mit der Zeit durch grünen ersetzt werden.

Auch in Deutschland fordern dies Gasunternehmen wie Wintershall Dea, Uniper oder der Lobbyverband Zukunft Gas. Das Problem: Damit könnten Abhängigkeiten von Wasserstoff geschaffen werden, die mit Hilfe von grünem Wasserstoff gar nicht zu stillen sind.

Technologieoffenheit als Mantra der Lobbyisten

Stellt die Gasindustrie also die Weichen geschickt und kann die Nutzung von Wasserstoff und synthetischen Gasen (auf Basis von Wasserstoff) für möglichst viele Bereiche durchsetzen, müsste man noch lange auf Wasserstoff zurückgreifen, der in irgendeiner Weise mit Hilfe von Erdgas hergestellt wird. Ein Schlüsselbegriff in der Lobbydebatte ist hierbei die „Technologieoffenheit“. Damit wird suggeriert, es würden bestimmte Technologien aus Engstirnigkeit ausgebremst – obwohl es sich im Fall von Wasserstoff eigentlich um eine Effizienzentscheidung handelt: Nämlich den Wasserstoff mit seinen guten Eigenschaften, aber seinem hohen Energieaufwand in der Gewinnung nur dort einzusetzen, wo er wirklich gebraucht wird.

In Deutschland ist es der Gasindustrie im „Dialogprozess Gas 2030“ zunächst einmal gelungen, dass das Bundeswirtschaftsministerium der Rolle gasförmiger Energieträger bei der Energieversorgung der Zukunft eine wichtige Rolle zugeschrieben hat. Auch forderte ein zunächst durchgesickerter Entwurf der Gasstrategie von Februar 2020, Wasserstoff in nahezu allen Bereichen einzusetzen. Zur Erinnerung, der vom Minister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier, initiierte „Dialogprozess“ war allein der Gasindustrie vorbehalten, andere Akteure hatten kaum Zutritt und wussten auch lange gar nichts von diesem Prozess. Die Gasindustrie hat hier mit Hilfe privilegierter Zugänge ihre Zukunft im Kampf gegen den Klimawandel gesichert.

Lobbyakteure entdecken soziale Komponente von Wasserstoff

Und auch die Gasnetzbetreiber planen natürlich ihre Zukunft mit dem Wundergas. Ihnen schwebt vor, dass ihre Pipelines auf Wasserstoff umgerüstet und damit weiterverwendet werden. Das ist ihre Rettung, wenn die Bedeutung von Gas eines Tages zurückgeht.

Für die Fernleitungsnetzbetreiber gibt es hier Hoffnung, an einem Rechtsrahmen arbeitet die Bundesregierung bereits. Doch auch die Verteilnetzvertreiber, die das Gas bisher zu den Endkunden bringen, wollen im Geschäft bleiben. Wenn es nach ihnen geht, soll das Wasserstoffnetz bis in die Privathaushalte hineinreichen. Das widerspricht der eingangs erwähnten und von vielen vertretenen Meinung, dass Wasserstoff vor allem dort eingesetzt werden sollte, wo es keine günstigeren Alternativen gibt. Sie sehen eher Bedarf an Wasserstoff-Clustern, wo die Industrie sie braucht. Für das Beheizen von Gebäuden sind Erdwärme oder Solarthermie demnach besser geeignet.

Und so entbrennt hier gerade eine weitere Diskussion. Denn nicht nur die Verteilnetzbetreiber möchten gerne ihre Zukunft mit dem Wasserstoff sichern. Im Dezember erreichte Minister Peter Altmaier ein gemeinsamer dringlicher Brief der Gasindustrie und des Bundesverbandes der deutschen Heizungsindustrie, den Wärmemarkt und dessen Versorgung über die Gasverteilnetzebene nicht zeitlich nachrangig zu bedienen. Interessant ist dabei, wie stark von den Lobbyakteuren die soziale Komponente in den Vordergrund gestellt wird.

Der Branchenverband Deutscher Verein für das Gas- und Wasserfach fordert, dass über die Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz „auch die Oma mit ihrem kleinen Häuschen“ sozialverträglich an der Energiewende teilhaben könne. Und auch das Unternehmen Eon, zu dem auch Verteilnetzbetreiber gehören, zieht die soziale Karte und argumentiert, dass das für die Wärmeversorgung ohne Gas nötige Dämmen in älteren Wohnhäusern hauptsächlich „Einkommensschwache“ treffe. Dies dürfte auch der Immobilienwirtschaft entgegenkommen, die ebenfalls lieber auf den Wasserstoff setzen würde als auf aufwändige und teure Gebäudedämmung.

Die Debatte um Einsatz, Bezug und Transport des Wundergases Wasserstoff wird die Klimadebatte in den nächsten Monaten, wenn nicht Jahren mitbestimmen. Der Gaslobby ist es dabei gelungen, ihre fossilen Produkte sowohl für den Übergang zu einer C02-neutralen Wirtschaft als auch als Zukunftsenergie zu positionieren. LobbyControl wird hier genau hinsehen. Denn die Gaslobby ist mächtig und hat in Deutschland besonders großen Einfluss auf die Bundesregierung. Doch es darf nicht sein, dass am Ende fossile Wirtschaftsinteressen die Oberhand über die Zukunft der Energieversorgung gewinnen – statt dem Schutz des Klimas und das Überleben des Menschen auf dem Planet Erde.

Den ausführlichen Artikel können Sie bei LobbyControl lesen.




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