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Die Meinung
30. Juli 2018

Klimawandel: Einsicht ist nicht gleich Handeln

Viele denken beim Gürtel-enger-schnallen spontan an den Leibriemen des Nachbarn, nicht an den eigenen – das gilt auch fürs Klima. Immer wieder wird gefragt, warum wir den Klimawandel zwar einsehen und auch fürchten, aber gleichzeitig so gut wie nichts dagegen unternehmen.

Gerhard Hofmann, Leiter der Agentur Zukunft – Büro für Nachhaltigkeitsfragen

Gerhard Hofmann, Leiter der Agentur Zukunft – Büro für Nachhaltigkeitsfragen
Foto: Manfred Knopp

30.07.2018 – Auf Spiegel-Online versucht Lena Puttfarcken eine Erklärung dafür, dass man „psychologisch gesehen ganz ohne Probleme von etwas überzeugt sein und sich trotzdem genau entgegengesetzt verhalten“ könne. Obwohl die meisten Deutschen die drohende Klimakatastrophe – von ein paar bornierten Klimaskeptikern abgesehen – für eines der größten Zukunftsprobleme halten, ändern wir selbst wenig.

83 Prozent forderten kürzlich in einer Umfrage strengere Gesetze für den Fischfang. Doch lediglich 37 Prozent essen wenig Fisch, um persönlich zum Schutz der Fischbestände beizutragen. Warum tun wir uns so schwer mit der Umsetzung der eigenen Erkenntnisse, Einsichten und Werte in Sachen Umwelt- und Klimaschutz? Zunächst betreffen die meisten Klimaveränderungen uns kaum. Die Sommer werden – wie eben vor allem in Norddeutschland – heißer Klimakatastrophe: wie ein „Meteoriteneinschlag in Zeitlupe“und trockener, gelegentlich fällt Starkregen, sogar der eine oder andere Tornado ist bereits gesichtet worden und hat ein Dach abgedeckt. Aber der eigentliche Klimawandel geht ganz, ganz langsam und weit, weit weg vonstatten, wir sehen die Folgen nur im Fernsehen und können abschalten, wenn es uns zu viel wird. Die von Hitzewellen verursachten Tausende von Toten sehen wir überhaupt nicht. PIK-Potsdam-Direktor Hans-Joachim Schellnhuber hat einmal gesagt, die Klimakatastrophe sei wie ein „Meteoriteneinschlag in Zeitlupe“. Warum sollen wir uns heute schon krumm machen, wenn der Grönland-Eisschild erst in 200 Jahren abgeschmolzen ist?

Und sein Kollege Stefan Rahmstorf hat vor kurzem berechnet: „Die Wahrscheinlichkeit, dass die jährlichen Wärmerekorde der letzten Zeit nicht durch den menschengemachten Klimawandel verursacht wurden, liegt zwischen 1:5.000 und 1:170.000 – weit unterhalb des Problembereichs“. Die PIK-Forscher können zum Beispiel anhand ihrer Berechnungen sehr klar zeigen, dass der Meeresspiegelanstieg schon bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad die Inselstaaten ernsthaft bedroht – einige bekommen das heute schon zu spüren…

„Nicht bewiesen“

Damit wir das alles nicht so ernst nehmen, werden uns verschiedene Strategien angeboten: Zuerst die lange Dauer, die Kosten der Erneuerbaren, dann die Zweifel, schließlich die Ausgleichsmaßnahmen. Das sei ja alles nur „wahrscheinlich, nicht bewiesen“, so die Zweifler. Klimaleugner verlangen stets Beweise; manche leugnen den Wandel gar nicht mehr, bestreiten aber die anthropogenen Ursachen. Doch mehr als 96 Prozent der seriösen Wissenschaftler sind überzeugt von einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit der menschengemachten Erderwärmung.

In ihrem Buch „Merchants of Doubt“ (dt.: Machiavellis der Wissenschaft) belegen die amerikanischen Wissenschaftshistoriker Naomi Oreskes, University of California, und Erik M. Conway, California Institute of Technology, wie einige Wissenschaftler im Interesse der Wirtschaft für die Öffentlichkeit den Anschein erwecken, als gäbe es wissenschaftliche Differenzen über bereits entschiedene Fragen. Die Motive: Geld und Wichtigtuerei, und, dass man politisch oder religiös einem Standpunkt verbunden ist; man kann mit einer Außenseitermeinung erhöhte Aufmerksamkeit und Zuspruch einer eigenen Anhängerschaft genießen – oder, man kann sich einfach in eine Ansicht verrannt haben und davon nicht mehr loskommen. (solarify.eu/die-machiavellis-der-wissenschaft)

Schellnhuber: „Branchen, die beim Klimaschutz auf der Verliererseite stehen, haben sogar Professoren in Stellung gebracht, um die mühsam gewonnenen Erkenntnisse der Klimawissenschaft durch Zweifel zu diskreditieren. Ob diese Zweifel Quatsch sind, interessiert in der Öffentlichkeit nicht, denn dort kommt nur an: Die Wissenschaftler streiten – also sind die Erkenntnisse nicht belastbar. Die Industrie versucht Zweifel an dem Zusammenhang zu säen, in der Hoffnung, dass die Regierungen dann nichts unternehmen.“ Das belegt auch der gegenwärtig in den Kinos laufende Dokumentarfilm Guardians of the Earth über den spannenden Ablauf der Pariser Klimakonferenz COP21. Unternehmen, die mit Millionen den Klimawandel in Zweifel zogen, förderten fast immer rechtspopulistische Bewegungen.

Bezahlte Zweifel

ExxonMobil und die anderen Öl-Konzerne sind für mindestens zwei Jahrzehnte Verzögerung im Kampf gegen den Klimawandel verantwortlich: Exxon hat „Wissenschaftler“ wie Wei-Hock Soon vom Harvard-Smithsonian Astrophysical Observatory von 2005 bis 2010 mit mehr als 300.000 Dollar verdeckt „unterstützt“, um klimaskeptische Forschungen durchzuführen, die als „unabhängig“ deklariert wurden. Weitere Geldgeber waren der Energiekonzern Southern Co., die Lobbygruppe American Petroleum Institute sowie eine Stiftung von Charles Koch – schließlich das inzwischen bankrotte, einst größte Bergbauunternehmens der Welt, Peabody Energy. Nach 2015 veröffentlichten Dokumenten erhielt er ca. 1,25 Mio. US-Dollar, womit seine Forschungen fast ausschließlich durch Unternehmen der fossilen Energiebranche finanziert wurden. Das Ziel dieses Vorgehens bestand nicht darin, die Klimadebatte zum Verstummen zu bringen; dies schien unmöglich. In einem Strategiepapier („Global Climate Science Communications Plan“) des American Petroleum Institute aus dem Jahr 1998 wurde das Ziel klar benannt: „Der Sieg wird errungen werden, wenn durchschnittliche Bürger ‚wissen‘ (anerkennen), dass es Ungewissheiten in der Klimawissenschaft gibt; wenn die Anerkennung von Ungewissheiten Teil der ‚vorherrschenden Meinung‘ wird.“

Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert eine Zehnerpotenz mehr Energie als dessen ProduktionGern wird im Zusammenhang mit den organisierten Zweifeln am anthropogenen Klimawandel das sogenannte, nach einem italienischen Informatiker benannte Brandolini-Gesetz zitiert: „Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert eine Zehnerpotenz mehr Energie als dessen Produktion.“ Bereits 1859 hat der englische Baptistenpastor Charles Spurgeon (einer der bekanntesten Prediger des 19. Jahrhunderts) gesagt: „Eine Lüge geht um die Welt, während die Wahrheit immer noch ihre Stiefel anzieht“.

Fatalistisch in die Katastrophe

Warum aber laufen wir – obwohl wir den Klimawandel verstanden zu haben glauben – mehr oder weniger schicksalsergeben in die Klimakatastrophe? Warum wissen wir viel darüber, handeln aber kaum? „Abstrakte Einstellungen und Wertvorstellungen sind etwas ganz anderes als das alltägliche Handeln”, sagte Ellen Matthies, Umweltpsychologin an der Universität Magdeburg und Mitglied im Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, gegenüber Spiegel Online. Das liege am sogenannten Status-quo-Fehler. Gebe es viele Möglichkeiten, behalte der Mensch eher die von Anfang an gewählte bei – angesichts der Frage, was man gegen ein Problem unternehmen solle, unternehme der Mensch am liebsten gar nichts. Zu groß sei die Angst vor möglichen Veränderungen. Dazu komme, dass wir Neues zunächst aus alten Kategorien heraus zu verstehen versuchen. Spiegel-Autorin Puttfarcken nennt als Beispiel das Elektroauto. Obwohl es viele Vorteile biete, als Stadtauto oder Zweitwagen, werde die Diskussion darum Matthies zufolge vor allem vom Reichweitenthema beherrscht. Kaum jemand sehe, dass so gut wie niemand in der Stadt oder im Zweitwagen jemals die Reichweite eines Elektroauto überschreite.

Selbstverpflichtungen helfen

Matthies hat aber auch eine gute Nachricht: Man könne durchaus lernen, Gewohnheiten, die sich durch den Status-quo-Fehler ergeben, zu durchbrechen und zwar mit einfachen Mitteln wie etwa Hinweise auf Aufklebern, wie etwa ein Zettel an der Waschmaschine, der mahnt, weniger Waschmittel zu nehmen – oder Selbstverpflichtungen vor Freunden, vor denen man Veränderungen publik und für uns bindend macht. Einfach nur „umweltbewusster zu leben“, ende eher in Frustration. Matthies rät deshalb, den persönlichen CO2-Fußabdruck zu berechnen. Dann könne man sehen, wo man in Bereichen wie Wohnen, Heizen, Mobilität und Ernährung im Vergleich zum deutschen Durchschnitt stehe – und wo man am besten und einfachsten etwas verändern könne.

Doch Vorsicht: Wer sich einredet, er verhalte sich doch schon besonders vorbildlich, wenn er kein Auto mehr habe oder brav den Müll trennt – laufe Gefahr, sich nur einzureden, dass das schon reiche, den restlichen Alltag auszugleichen. Dazu gehörten auch die CO2-Ausgleichsmaßnahmen: Armin Grunwald, Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am KIT, hält wenig davon: „Im Vergleich zu dem Schaden, den eine Flugreise anrichtet, ist der Nutzen von wenigen Bäume gering“. Bäume pflanzen sei besser als gar nichts. Doch Grunwald sieht die Kompensationen als „Ersatzhandlungen“, sie bergen die Gefahr, sich von einer gefühlten Mitverantwortung am Klimawandel freizukaufen.“

Nicht nur Privatinitiative – auch Politik ist gefragt: Dieselprivileg, CO2– und Kerosinsteuer

Dass wir umweltbewusst konsumieren müssen, ist leichter gesagt als getan, wo doch das Gegenteil überall lauert, in der Werbung wie im Supermarkt. Und dann wollen Milliarden von Afrikanern, Indern und Chinesen endlich ebenso viele schnelle Autos fahren und so viel Fleisch essen wie wir. Schon die Umwelt-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 hieß „UNCED – United Nations Conference of Environment and Development“ – den Armen der Welt war „Entwicklung“ (lebens-)wichtig, heute noch Konfliktpunkt in den Klimadiskussionen zwischen Nord und Süd.

Damit sind wir bei der Politik. Die hinkt unverantwortlich hinterher – macht nichts, sie muss nicht fürchten, von den Wählern zur Verantwortung gezogen werden: In der Sommer-Pressekonferenz der Kanzlerin war alles andere wichtiger: Die Wörter „Energie“ oder „Energiewende“ kamen dabei überhaupt nicht, das Wort “Klima” in nur einer einzigen Frage vor.

Wir sollten uns nichts vormachen: Der deutsche Anteil an der Klimaerwärmung, bzw. am Treibhausgas-Ausstoß lag 2016 bei 2,8 Prozent. Direkt bewirken wir wenig. Doch das gute Beispiel könnte wirken, wenn auch der „Klimavorreiter“ eben empfindlich schwächelt. Klaus Töpfer argumentiert, dass die deutsche Industrie bei Einführung der Rauchgasentschwefelung bereits ihr eigenes Totenglöcklein läutete – heute sei die Technologie ein wahrer Exportschlager: „Auch bei der Kreislaufwirtschaft sind die ersten konkreten Maßnahmen in Deutschland politisch durchgesetzt worden. Gleiches gilt für eine saubere Nutzung der Kohle durch Rauchgasentschwefelung, Entstickung und moderne Filtertechnologien. Am Ende des Tages war nach meiner Kenntnis jede umweltpolitische Vorreiterposition immer gut geeignet, wettbewerbliche Vorteile zu schaffen. Wenn ein technologisch führendes Land wie Deutschland immer wartet, bis der letzte mitgeht, verschenken wir einen entscheidenden Standortvorteil.“

„Der Sozialismus ging daran zu Grunde, dass er es nicht zuließ, dass die Preise die ökonomische Wahrheit sagten. Der Kapitalismus könnte daran zu Grunde gehen, dass er nicht dafür sorgt, dass die Preise die ökologische Wahrheit sagen“, prophezeite Club-of-Rome-Ko-Vorsitzender Ernst Ulrich v. Weizsäcker einmal – und er könnte sehr wohl Recht behalten. Beispiele sind die Strompreislüge (die Erneuerbaren sind so teuer!) und das Dieselprivileg – allein bei uns sieben Milliarden Steuererlass als versteckte Subvention, bzw. die noch gar nicht existente Kerosinsteuer, letztere könnte den Flugverkehr reduzieren helfen – denn bisher ist Fliegen zu billig, oft billiger als Bahnfahren.

Auch die oft geforderte CO2-Steuer könnte Umweltfolgen einzelner Produkte  abbilden, am besten europaweit oder aber abgefedert durch Vorteile an anderer Stelle. Die Industrie ist dabei lange nicht so angstbesetzt wie die Politik. Puttfarcken: „Gegen eine globale CO2-Steuer hätten große deutsche Unternehmen dagegen wenig einzuwenden, ergab Anfang des Jahres eine Umfrage des Handelsblatts“ (auch kaum gegen eine europaweite).

Es gibt mehr als einen Weg, etwas richtig zu machen,
jeder sollte das tun,
was er umsetzen kann.
Puttfarcken endet mit der (nicht sonderlich überraschenden) Feststellung: „Eine einfache Lösung für das Problem Klimawandel gibt es in absehbarer Zeit also nicht. Wer sich unkompliziert für die Umwelt engagieren will, kann versuchen, kleine Dinge im Alltag umzusetzen. Tipps findet man im Internet zum Beispiel bei CO2online. Andreas Ernst, Psychologe und Umweltsystemanalytiker an der Universität Kassel, sekundiert: „Es gibt mehr als einen Weg, etwas richtig zu machen, jeder sollte das tun, was er umsetzen kann.“ Die Chancen stehen allerdings laut Schellnhuber „bestenfalls 50:50, dass wir den Klimawandel tatsächlich rechtzeitig wirkungsvoll begrenzen. Es hängt einfach davon ab, ob wir jetzt rasch handeln oder nicht. Theoretisch kann unser Wirtschaftssystem ziemlich schnell so umgebaut werden, dass es ohne Kohlendioxidausstoß auskommt.“

Dr. Gerhard Hofmann leitet die Agentur Zukunft - Büro für Nachhaltigkeitsfragen.Der Artikel erschien zuerst auf dem Infoportal Solarify.




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