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Nachgefragt
14. Mai 2018

„Das System konstruktiv auf den Kopf stellen“

Die Anfänge der Bürgerenergie in Deutschland finden sich in Hamburg-Altona. Dort gründet sich 1989 die Betreibergemeinschaft UWW, eine Gruppe Menschen, die ihrem Protest gegen Atomenergie konstruktiv Ausdruck verleihen wollen: Ein energiepolitisches Signal, das bis heute Wirkung zeigt.

Rolf Triebel und Michael Luhn, Bürgerenergie-Pioniere der Betreibergemeinschaft UWW

Rolf Triebel und Michael Luhn, Bürgerenergie-Pioniere der Betreibergemeinschaft UWW
Rolf Triebel (rechts) und Michael Luhn (links). (Foto: Oliver Grob / NATURSTROM)

14.05.2018 – Michael Luhn und Rolf Triebel sind Gründungsmitglieder der Betreibergemeinschaft Umschalten Windstrom Wedel (UWW) und haben uns von den Anfängen bis heute Spannendes berichtet.

Herr Luhn, Herr Triebel: Sie haben die UWW vor fast 30 Jahren mitgegründet. Können Sie das kollektive Gefühl beschreiben, das damals herrschte?

Luhn: Das Gefühl, das uns damals einte, war der Frust, dass wir durch die Anti-AKW-Demos in Brokdorf letzten Endes nichts erreicht hatten. Wir engagierten uns zwar stark im Protest und viele hatten auch vor Gericht geklagt, aber es hatte nichts genützt. Das AKW Brokdorf wurde im Oktober 1986 in Betrieb genommen, sechs Monate nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Für uns war das eine mutwillige Aktion, eine Verhöhnung der Atomkraftgegner sowie der gesamten Widerstandsbewegung. Wir verstanden, dass wir an einem Punkt angelangt waren, an dem es nicht mehr weiterging. Wir konnten tausend Mal demonstrieren und würden doch nur kriminalisiert werden – der Staat rüstete auf und militarisierte sich als Reaktion auf unsere Proteste. Wir mussten also einen anderen Weg gehen. Mit dieser Erkenntnis wuchs bei uns der Wille nicht nur politisch gegen die Atomenergie zu streiten, sondern etwas in Richtung der regenerativen Energien zu machen.

Ihre neue Form des Protests war also die Sichtbarmachung einer alternativen Lösung?

Luhn: Ja, denn tatsächlich waren Aussagen wie „ohne Atomenergie gehen die Lichter aus“ damals allgegenwärtig. Unsere Idee war, das ganze Thema konstruktiv auf den Kopf zu stellen. Wir wollten am praktischen Beispiel zeigen, dass diese Aussagen nichts als Zweckpropaganda waren. Auf diese Weise hofften wir auch Leute zu erreichen, die sich bislang nicht mit der Thematik beschäftigt hatten. Alle sollten sehen, dass eine Versorgung mit umweltfreundlichen Technologien tatsächlich funktioniert.

Gab es neben der Widerstandsbewegung noch einen anderen ursprünglichen Auslöser für Ihr Interesse an Umwelt- und Energiethemen?

Triebel: Nein, es war tatsächlich die Anti-AKW-Bewegung, die uns zu der Thematik führte. Wir waren zuvor weder Bienenzüchter, noch hatten wir uns anderweitig nennenswert für die Umwelt engagiert. Man muss sich die damalige Widerstandsbewegung einmal vor Augen führen. Es gab in den 1980er-Jahren 50 Stadtteilinitiativen in Hamburg gegen das AKW Brokdorf und die Proteste waren allesamt Großdemonstrationen von historisch nie dagewesenen Ausmaßen. Da demonstrierten teilweise 100.000 Menschen mit tausenden Polizisten auf der Gegenseite. Ich persönlich habe damals als Mediziner mit einigen anderen dann den Sanitäter gemacht.

Wie lange dauerte es bis Sie den Entschluss fassten, selbst über den Anti-AKW-Protest hinaus aktiv zu werden?

Luhn: Das ging letztlich ganz schnell. Die Initiative ging damals von Rosemarie Rübsamen aus, einer Physikerin, die bei der grünen Bürgerschaftsfraktion in Hamburg als Pressereferentin aktiv war. Frau Rübsamen wollte das Thema der regenerativen Energieerzeugung in die Öffentlichkeit tragen und versuchte daher, verschiedene Leute zu kontaktieren und zusammen zu bringen. Es gab dann im Jahr 1988 eine Versammlung im Hamburger Rathaus, zu der interessierte Leute eingeladen wurden. Ich erinnere mich noch an den Arbeitstitel, der da lautete: „Hamburger Energiemacherinnen und -macher“.

Triebel: Auch ich nahm an dieser Versammlung teil. Allerdings eher zufällig. Denn eigentlich wollte ich dort nur einige Decken zur Erstversorgung von Verletzten mit Unterkühlung abholen. Diese Decken hatte Helmut Häuser, einer der Gründerväter der UWW, in dessen Haus wir eine Sanitätsstation eingerichtet hatten, zu der Veranstaltung im Rathaus mitgebracht, um sie mir zurückzugeben. Und als ich dann schon mal da war, habe ich einfach zugehört.

Wie groß war die Gruppe, die an der Gründung der UWW beteiligt war?

Luhn: Wir waren etwa 20 Leute, die sich nach der Versammlung zusammengefunden hatten und Anfang 1989 dann im ersten Schritt einen Verein gründeten, mit der Idee unsere Energie selbst zu erzeugen. Wir nannten uns „umschalten e.V. der Selbsterzeuger von umweltfreundlichem Strom“. Und es ging direkt los. Helmut Häuser war bereits gut vernetzt, hatte beispielsweise einen Draht in die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein und zu anderen Personen in der Windszene.

Triebel: Man muss dazu sagen: Herr Häuser war Ingenieur bei Airbus und hat damals eine ehrenamtliche ingenieurstechnische Planungsleistung vom Feinsten abgeliefert - und das auf absolutem Neuland. Der Verein war der erste Schritt. Im nächsten Schritt kam es dann zur Gründung der Betreibergemeinschaft UWW, die heute noch besteht und der eine komplementäre GmbH angehörte. Damals mussten acht Personen gefunden werden, welche die GmbH bildeten. Diese acht Personen, zu denen wir beide gehörten, könnte man wohl als Keimzelle der UWW bezeichnen. Bei der ersten Jahresversammlung der UWW waren bereits 200 Personen anwesend.

Wie waren ihre ersten Erfahrungen bei dem Versuch, regenerativ betriebene Anlagen zu installieren?

Luhn: Es war schwierig. Denn als wir versuchten, Genehmigungen für die erste Windkraftanlage zu erhalten, merkten wir, dass die Behörden uns Steine in den Weg legten. Sobald es darum ging, Strom ins Netz einzuspeisen, wurde uns meist gesagt, dass das nicht möglich sei. Damals, vor der Strommarktliberalisierung, waren die Energieversorger mit den Behörden und örtlichen Bürokratien noch sehr stark verknüpft und auch das Stromeinspeisegesetz gab es noch nicht.

Was war dann Ihr erstes Vorhaben bzw. Projekt?

Triebel: Unser erstes realisiertes Projekt war die Windkraftanlage in Wewelsfleth. Sie wurde im November 1989 errichtet und stand auf dem Hof des Landwirtehepaars Reimers in Sichtweite des Atomkraftwerkes Brokdorf, also an dem Ort, wo wir zuvor gegen das AKW protestiert hatten. Es war eine heute völlig untypische zweiflüglige Anlage des Typs Lagerwey mit einer Nennleistung von 75 kW, die vorrangig den Hof Reimers versorgte. Nach fast 25 Jahren zuverlässigem Betrieb wurde sie Anfang 2014 im Rahmen eines Repoweringvorhabens stillgelegt.

Und wie ging es dann weiter?

Triebel: Bis 1992 folgten drei weitere Windkraftanlagen in Wedel, Schashagen und Drochtersen. Die größte Anlage hatte eine Nennleistung von 225 Kilowatt. 1993 kam ein BHKW dazu, das bis 2010 den Ottenser Werkhof in Hamburg-Altona und damit auch unsere Büroräume mit Strom und Wärme versorgte und dann durch ein neues und auf Brennwerttechnik basierendes BHKW ersetzt wurde. Und im Juli 2000 ging schließlich unsere Wasserkraftanlage an der Fuhlsbütteler Schleuse in Betrieb. Wobei das nur die realisierten Projekte sind. Wir hatten noch viel mehr Ideen und haben große Sachen versucht. Wir wollten z.B. den Mittellandkanal anzapfen und dessen Wasserkraft nutzen, dort gibt es schließlich Gefällestufen von etwa 20 Metern. Ein lang gehegter Traum war außerdem die Umzingelung des AKW Brokdorf mit Windkraftanlagen. Eine fantastische Idee, wie wir finden, aber kurz gesagt: Geklappt hat es leider nicht. Wir sind eben keine Profis, die mit dem Diplomatenkoffer und vor allem angespitzten Ellenbogen durch die Gegend laufen, um Projekte zu realisieren. Wir hatten auch kein Interesse, Projekte anwaltlich durchzufechten. Man könnte uns wohl eher als so eine Art Feierabendverein bezeichnen – aber mit Expertise.

Wie war die Reaktion der Hamburger Umweltbehörde, als sie davon erfuhren, dass Sie die Wasserkraftanlage an der Fuhlsbütteler Schleuse bauen wollen – ein Vorhaben, das die öffentliche Hand zuvor wieder fallen gelassen hatte?

Triebel: Ich erinnere mich an ein erstes Meeting, an dem etwa 20 Personen aus unterschiedlichsten Behörden teilnahmen – allein die Anzahl war bezeichnend. Und die Reaktion auf unsere Idee war sehr positiv. Kein Wunder, denn anwesend waren schließlich diejenigen, die das Vorhaben ursprünglich im Auftrag der Umweltbehörde geplant hatten und denen dann der Hamburger Rechnungshof einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Letztlich konnten wir von deren Vorarbeit profitieren und die Planung und Genehmigung der Anlage war innerhalb eines Jahres abgeschlossen – eine Fabelzeit.

Wie konnten Sie die Finanzierung der Anlagen stemmen?

Triebel: Die Finanzierung kam aus vier Quellen. Erstens das Eigenkapital der Betreibergemeinschaft, das wir innerhalb von zwei Wochen beisammen hatten. Zweitens erhielten wir einen Zuschuss aus öffentlichen Geldern in Höhe von 18 Prozent. Und drittens nahmen wir einen Kredit bei der GLS Bank auf. In die schmale Spur der Wirtschaftlichkeit kamen wir dann aber erst, als wir von NATURSTROM eine Förderzusage für 10 Jahre über 3,5 Pfennig je eingespeister Kilowattstunde erhielten. Damit war der Weg frei und wir konnten das Projekt realisieren.

Gab es Proteste gegen das Wasserkraftwerk?

Triebel: Nein, damit hatten wir keine Probleme. Allerdings haben wir dafür auch gesorgt. Denn wir setzten auf Prävention und Konfliktvermeidung. Dazu haben wir beispielsweise Versammlungen einberufen und die Menschen im Wohnumfeld der geplanten Anlage informiert. Die Leute vor Ort mussten ja auch Baulärm ertragen. Deshalb haben wir versucht, schon im Vorfeld eine positive Verankerung zu erreichen. Auch mit den Gewässerschützern und Anglern haben wir uns ausgetauscht und ein sogenanntes „Fischfluchtrohr“ installiert, über das die Tiere unbeschadet und ohne große Mühe an der Turbine vorbeischwimmen können. Letztlich war uns bei allen Projekten die Kommunikation mit den Menschen immer sehr wichtig. Denn unser Engagement war ja von Anfang an ein politisches Statement und an alle gerichtet. Wir hatten den Anspruch, eine Alternative zur fossilen Energieversorgung aufzuzeigen und dementsprechend auch eine energiepolitische Botschaft zu senden. Wenn man dann die Menschen im Wohnumfeld von Anlagen vor den Kopf stößt und im schlimmsten Fall eine Gegnerschaft induziert, hat man selbstverständlich etwas falsch gemacht.

Ihr Engagement mit der UWW war die erste organisierte Bürgerenergieaktivität in Deutschland. Wie war die Reaktion Ihres sozialen Umfeldes auf Ihr Engagement? Wurden Sie bewundert, belächelt, kritisiert?

Luhn: In meinem Umfeld musste ich keine Überzeugungsarbeit leisten oder mich rechtfertigen. Das liegt aber meines Erachtens auch daran, dass unsere Gesellschaft derartig segmentiert ist, dass man sich mit Vorliebe in den Bereichen aufhält, in denen man etwas mehr Zustimmung erhält. Spannend fand ich daher, dass wir mit unseren konkreten Aktivitäten auch andere Kreise für das Thema interessieren konnten. Dazu gehörten eben auch Menschen, die nie auf einer Demo gewesen waren – von unserer Idee, unsere Energie selbst zu produzieren, jedoch begeistert waren und die UWW dann schlussendlich auch finanziell unterstützten.

Triebel: Und dieser finanzielle Einsatz war nicht an Renditeerwartungen geknüpft. Im Gegenteil, viele waren sich sicher, dass sie ihr Geld nie wiedersehen würden, freuten sich aber über die energiepolitische Botschaft, die damit einherging. Dass wir später sogar eine anständige Rendite vorzuweisen hatten, steht auf einem anderen Blatt. Vorrangiges Ziel war es jedenfalls nicht.

Als Vordenker und Macher sammelten Sie Erfahrungen, die für andere Initiativen zum Vorbild wurden. Wie gaben Sie ihr Wissen damals weiter?

Luhn: Auf vielfältige Art. Wir unterstützen beispielsweise bei der Gründung von anderen Betreibergemeinschaften, waren auf Messen präsent und hielten unzählige Vorträge. Wir boten außerdem Energieberatungen an, die damals noch völlig unüblich waren, und organisierten Busfahrten durch Schleswig-Holstein zu bereits bestehenden Anlagen.

Es ist vermehrt der Trend zu beobachten, dass Bürgerenergiegesellschaften Personalprobleme bekommen, sobald die Gründergeneration in den Ruhestand strebt. Können Sie das bestätigen?

Luhn: Tatsächlich kann man bei insgesamt etwa 220 Beteiligten in der UWW den Nachwuchs an einer Hand abzählen. Der Sohn unseres Anlagenbetreuers beispielsweise ist beim Betrieb der Wasserkraftanlage aktiv dabei, bleibt damit aber eine Ausnahme. Wir sehen dieses Generationenproblem also auch. So kommt es, dass wir in den letzten Jahren hauptsächlich Bestandsverwaltung betrieben haben. Die Wasserkraftanlage in Hamburg ging im Jahr 2000 in Betrieb und ist damit unsere neueste Anlage.

Wie kommt es, dass Sie seitdem keine weiteren Anlagen mehr realisiert haben?

Luhn: Es ist paradox. Retrospektiv betrachtet war es für uns Anfang der 1990er-Jahre leichter, Projekte zu realisieren als heute. Der Bau und Betrieb von Windkraftanlagen war zwar in den meisten Bereichen völliges Neuland und die Behörden schreckten davor zurück, etwas derart Unbekanntes zu genehmigen. Jedoch sind die heutigen Anforderungen in vielen Disziplinen um Welten anspruchsvoller und bürokratischer. Letztlich war das auch der Grund, warum wir uns 2017 dazu entschlossen, die Geschäftsführung der Betreibergemeinschaft abzugeben und NATURSTROM mit an Bord zu holen. Die Wahl fiel uns nicht schwer. Eine Verbindung bestand bereits, hatte uns die zehnjährige Förderung den Bau der Wasserkraftanlage doch mit ermöglicht. Außerdem nimmt der Öko-Energieversorger den produzierten Wasserkraftstrom seit Jahren direkt ab. Mit NATURSTROM im Boot wünschen wir uns für die Zukunft, dass durch die Verjüngung und Professionalisierung auch wieder neue Projekte entwickelt werden können.

Seit Beginn ihres Engagements für die Erneuerbaren Energien in den 1990er Jahren hat sich viel getan. Damals noch die reinste Utopie, stammt heute etwa ein Drittel des Stroms aus Ökokraftwerken. Haben Sie das für möglich gehalten?

Triebel: Tatsächlich war ich schon damals davon überzeugt, dass die Energiewende möglich ist und man die Erzeugung komplett umkrempeln kann. Es gab ja auch Bücher zu dem Thema, etwa von Hermann Scheer und außerdem Seminare, die wir besuchten. Darin ging es beispielsweise um die Frage, wie wir eine Energieversorgung aufbauen können, die den Bürgern zumindest in Anteilen gehört. Das lief immer auf das Kriterium „Dezentralität“ hinaus. Und die Entwicklung hat es ja gezeigt: Viel deutlicher als in der Bürgerenergiebewegung lässt sich das wohl kaum bestätigen.

Herr Luhn, Herr Triebel, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Oliver Grob.


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