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Nachgefragt
20. März 2023

„Die Krise ist noch nicht überwunden“

Die Gasspeicher sind nach einem milden Winter gut gefüllt, doch die Energiekrise ist nicht vorbei. Das am Weltmarkt eingekaufte Flüssiggas ist teuer und die Winterdürre in Teilen Europas birgt Risiken für die Stromerzeugung im Jahresverlauf. Ein Blick auf die Energiemärkte.

Oliver Hummel, Vorstandsvorsitzender der naturstrom AG

Oliver Hummel, Vorstandsvorsitzender der naturstrom AG
Foto: naturstrom AG

Das vergangene Jahr hat die Preise an den Großhandelsmärkten für Strom und Gas in ungeahnte Höhen getrieben. Zuletzt sind sie gefallen – ist das ein stetiger Abwärtstrend? Welche Preise sinken und wie stark?

Stimmt, die Großhandelspreise für Strom und Gas sind in den Wochen seit Jahresbeginn erstaunlich stark gefallen. Beispielsweise pendelt der Preis am Kurzfrist- und Terminmarkt der Strombörse derzeit zwischen 10 und 20 Cent. Mitte Dezember wurden hier noch 30 bis 40 Cent aufgerufen. Im August, als an den Märkten aufgrund der unsicheren Gasversorgungslage helle Panik herrschte, lag der Preis an einigen Tagen sogar bei einem Euro.

Kurzfristig wird sich der erfreuliche Trend fallender Preise wahrscheinlich nicht wieder umkehren. Die Gasspeicher sind nach einem milden Winter sehr gut gefüllt, die zum Frühling hin wieder zunehmende Solarstromerzeugung wirkt preisdämpfend. Außerdem ist die Panikstimmung an den Märkten verschwunden, auch das trägt gewissermaßen selbstverstärkend zur Beruhigung bei.

Nichtsdestotrotz ist die Krise noch nicht überwunden – und auch die Großhandelspreise liegen noch etwa doppelt so hoch wie vor der Energiekriese. Dorthin werden sie auch erst einmal nicht zurückkehren. Die Gasmengen, die aus aller Welt beschafft wurden und werden, um ohne russisches Gas auszukommen, sind nun einmal deutlich teurer.

Und auch beim Strom droht im Sommer aufgrund der extremen Wasserknappheit in Frankreich und Südeuropa Ungemach. Nicht nur die Wasserkraftwerke werden dann weniger Strom erzeugen, sondern vor allem auch die Atomkraftwerke in Frankreich. Diese haben auch schon in den letzten Sommern durch das Runterfahren ihrer Leistung aufgrund des Mangels an Kühlwasser aus den Flüssen zu massiv steigenden Strompreisen auch in Deutschland beigetragen.

Warum können Verbraucher nicht sofort von den fallenden Preisen profitieren?

Das können sie durchaus, auch wenn das Vorkrisenniveau nicht erreicht werden wird.

Aber zunächst eine grundsätzliche Einordnung: Alle seriösen Energieversorger sichern die Energiemengen zur Belieferung ihrer Kund:innen über eine langfristige Beschaffung an den Terminmärkten ab. Ein vereinfachtes Beispiel: 30 Prozent der Strom- oder Gasmengen beschafft der Versorger zwei Jahre im Vorhinein, 50 Prozent ein Jahr vorab, 20 Prozent kurzfristig im Lieferjahr. Eine solche strukturierte Beschaffung ist absoluter Standard, auch wenn die konkrete Strategie natürlich von Versorger zu Versorger unterschiedlich ist. Lediglich unseriöse Discounter, die in Krisenzeiten dann entweder Pleite gehen oder massenhaft ihren Kund:innen kündigen und sie im Regen stehen lassen, machen das anders.

Ein wesentlicher Effekt der strukturierten Beschaffung ist es, Risiken zu streuen und somit Preisschwankungen abzudämpfen und zeitlich zu strecken. In der aktuellen Situation heißt das, dass die Entwicklungen an den Großhandelsmärkten mit Zeitverzug bei den Kund:innen ankommen. Konkret: Der Anteil der Strom- und Gasmengen, die Versorger noch vor der Krise für ihre Kund:innen beschafft hatten, nimmt immer weiter ab, dafür schlagen jetzt die enorm hohen Preise des letzten Jahres durch. Daher liest man auch immer wieder von Versorgern, die die Preise gerade erhöhen, trotz der aktuell gegenläufigen Markt-Entwicklung.

Und dennoch: Versorger, die noch Mengen offen haben, können sie derzeit womöglich günstiger beschaffen als einkalkuliert war. Auf uns zumindest trifft das zu, wir haben die Preise für Neu- und auch Bestandskund:innen gerade deutlich gesenkt.

Sollten Haushalte weiter Energie sparen – und wenn ja, warum?

Auf jeden Fall! Die Lage entspannt sich, es gibt aber keinen Grund zur Sorglosigkeit. Strom und Gas werden teurer bleiben, als wir es lange Jahre gewohnt waren. Denn die Gaslieferungen aus Russland lassen sich auch mittelfristig nicht zu gleichen Preisen am Weltmarkt ersetzen. Da ist es umso wichtiger, mit den eingespeicherten und vertraglich gesicherten Mengen möglichst sparsam umzugehen, um nicht im nächsten Herbst schon wieder in den Krisenmodus und eine staatlich gesteuerte Gasbeschaffung nach dem Motto „Koste es, was es wolle“ zurückzufallen. Denn eins ist auch klar: Wird der nächste Winter richtig kalt, reichen auch die Gasspeicher und LNG Mengen nicht aus, um ohne Einschränkungen über die Zeit zu kommen.

Außerdem gibt es neben den Punkten Preis und Versorgungssicherheit ja auch noch den Klimaschutzaspekt, der kam in letzter Zeit leider viel zu kurz. Erdgas ist schließlich ein fossiler Brennstoff. Und die Klimabilanz von LNG, also verflüssigtem Erdgas, ist aufgrund der energieintensiven Verflüssigung und weiterer Emissionen in der Vorkette in vielen Fällen schlechter als die von Erdgas, das durch Pipelines transportiert wird.

Die Bundeszentrale Verbraucherverband klagte über zu wenig Wettbewerb bei Strom und Gas für Haushalte. Wie beurteilen Sie die Situation für Haushaltskunden?

Da hat sich inzwischen einiges getan. Aktuell zieht der Wettbewerb aufgrund der gesunkenen Großhandelspreise wieder deutlich an.

Noch im November waren Horrorszenarien wie eine Gasmangellage äußerst präsent und auch heute kämpfen die Energieversorger noch darum, wieder ein bisschen Planbarkeit in ihre Beschaffung zu bekommen und irgendwie all die ad hoc erlassenen gesetzlichen Vorgaben umzusetzen.

Der Preis für Neukunden lag über ein Jahr lang beim zwei- bis dreifachen des Preises der Bestandskunden. Gut für diejenigen, die nicht in dieser Zeit von ihren Versorgern gekündigt wurden, was viele Energieversorger gemacht haben, weil sich daraus erhebliche Gewinne erzielen ließen. Vertraglich wäre das zwar leicht möglich gewesen, aber sowas kam für uns nicht in Frage, denn das widerspräche unserem Verständnis einer langfristigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit. Ich hoffe, die Kunden haben das überhaupt mitbekommen und erinnern sich daran, wenn mal wieder der nächste Billiganbieter mit schönen Preisen lockt.

Die Strom- und Gasversorgungsunternehmen in Deutschland arbeiten derzeit auf Hochtouren, um die Strom- und Gaspreisbremse korrekt umzusetzen. Geben Sie uns einen kleinen Einblick, was das für die naturstrom AG konkret bedeutet?

Wir mussten unsere Abrechnungssoftware deutlich umbauen und haben einen erheblichen Mehraufwand durch die Informationspflichten, die mit den Energiepreisbremsen einhergehen. Glücklicherweise haben wir eine eigene IT-Abteilung und einen eigenen engagierten Kundenservice. Die für die Kunden recht unverständlichen gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel zur Auswirkung der Energiepreisbremse und den anzusetzenden Jahresverbräuchen, führten zu massenhaften Kundenrückfragen. Das haben wir zwar kommen sehen, konnten es aber nicht ändern, da die Gesetze nun mal so sind wie sie sind. Unsere aktuelle Erreichbarkeit leidet darunter genauso wie bei allen anderen Energieversorgungsunternehmen. Ich kann mich nicht daran erinnern, so etwas in den letzten 10 Jahren schon einmal erlebt zu haben. 

Und das alles nur, weil der Staat nicht in der Lage ist, seinen Bürgern nach sozialen Kriterien Geld als Entlastung zu überweisen. Und daher die Aufgabe an die Energieversorger delegiert. Das finde ich ein Armutszeugnis. Aber das ist ein anderes Thema.

Sehen Sie in dieser riesigen Aufgabe für das Unternehmen naturstrom auch positive Seiten?

Wir haben gesehen, dass wir unsere Massenprozesse und Kundenmailings auch unter hohem Zeit- und Veränderungsdruck recht zuverlässig umgesetzt bekommen. Als einem der wenigen Versorger ist es uns gelungen, unsere Kunden innerhalb der gesetzlichen Frist bis Ende Februar über die Auswirkungen der Preisbremse zu informieren. Die beteiligten Kolleg:innen haben das großartig gemacht und sind an dieser Erfahrung auch ein Stück weit gewachsen. Darauf können wir stolz sein und das wird uns auch bei den Herausforderungen der Zukunft helfen.

Das Gespräch führte Petra Franke.


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