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Bürgerbeteiligung bei der Energiewende optimieren

Anatol Itten (Foto: © 100pes)
Anatol Itten (Foto: © 100pes)

Die Bedingungen für Bürgerbeteiligung im Zuge der Energiewende sind alles andere als optimal, sagt Anatol Itten von der 100 prozent erneuerbar stiftung, es mangelt an echten Beteiligungsmöglichkeiten. Oft seien es nur drohende Konflikte und Kostendruck, die Projektträger zu Beteiligungsverfahren drängen.

14.07.2014 – Die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland bemühen sich aktuell um mehr Akzeptanz für den Ausbau bereits geplanter Netze – mit unterschiedlichsten Herangehensweisen und Erfolgen. Das eine Unternehmen organisiert Infomärkte, ein anderes Trassierungswerkstätten, ein weiteres hat es mit Bürgerversammlungen versucht, und das vierte bietet exklusive Workshops für Journalisten, Behörden und Politiker an. Allerdings sind auch Ähnlichkeiten zu beobachten: Bei vielen Verfahren ist der Verlauf der Beteiligung unklar, sowie nicht ersichtlich, wie die Ergebnisse letztlich in die konkrete Planung einfließen.

Aufgrund der anhaltenden Proteste und der offenbar wenig fruchtbaren Akzeptanzbemühungen wurde Heiner Geissler von der CDU-Fraktion in den Niedersächsischen Landtag berufen, um zu diesem Thema eine Nachhilfestunde zu geben. Sein zentraler Hinweis: „Wenn man mit derartigen Großprojekten Erfolg haben wolle, müsse man eben eine effektivere Bürgerbeteiligung schaffen. Und zwar jetzt. Entweder per Verordnung durch die jeweiligen Landesregierungen oder auch per Gesetz durch die Landtage“.

Es ist noch nicht allzu lange her, da hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in 2011 einen umfangreichen Dialogprozess zum Thema Energietechnologien für die Zukunft durchgeführt. Der daraus entstandene Bürgerreport fasste knapp und deutlich zusammen, welche Forderungen die Bürger stellen: „Gesetzliche Rahmenbedingungen sind zu schaffen, die den Bürgern eine Teilhabe an konkreten Planungsentscheidungen in Bezug auf die lokale und regionale Energieversorgung sichern, denn die bisherige Möglichkeiten der Anhörung sind nicht ausreichend.“ Die Nachhilfestunde im niedersächsischen Landtag zeigt: Aus dem Bürgerreport ist nichts Substantielles geworden.

Scheinbare Bürgerbeteiligung

Dass Bürgerbeteiligung zwar breit gepredigt wird, sich in vielen institutionellen Strukturen aber nur wenig ändert, zeigt beispielsweise auch ein neues Online-Tool zum Planungs- und Genehmigungsprozess von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen. Das Navigationssystem von der Energieagentur NRW hat das Ziel, mehr Transparenz und Akzeptanz bei Bauprojekten von Windenergieanlagen zu fördern. Bei genauerem Hinschauen wird jedoch offensichtlich, dass der Einbezug der Bürger nicht wirklich über das hinausgeht, was bereits gesetzlich erforderlich ist.

Bürgerbeteiligung wird also auf öffentliche Bekanntmachungen, Einsprachemöglichkeiten und Informationspflichten beschränkt. Tatsache ist also, dass Planungsprozesse im Rahmen der Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren bislang wenig beteiligungsoffen und weitgehend ungeeignet für dialogorientierte Bürgerbeteiligung sind. Sie zielen vor allem auf den individuellen Interessensschutz ab und sollen die Legalität und sachliche Richtigkeit der Verwaltungsentscheidungen sichern, so die Wissenschaftler Richter und Danelzik. Wie viele Kommentare aus den Beteiligungsverfahren zeigen, fällt es den Bürgern zudem schwer, trotz der Beteiligungsverfahren die Auswirkungen sowie die konkreten Kosten und Nutzen für ihre Kommune vor Ort zu verstehen. Viele Bürger haben das Bedürfnis, über das „ob“ eine geplantes Projekt gebaut werden soll, zu sprechen, während die Betreiber vor allem Rückmeldungen zu dem „wie“ das geplante Projekt gebaut werden kann, suchen. Das Resultat ist vor allem eine große Kommunikationslücke.

Keine Akzeptanz ohne Vertrauen

In vielen Ausbauprojekten im Bereich der Energiewende werden die Bürger also beteiligt, dies geschieht aber in der Regel durch eine eindimensionale Herangehensweise, die Akzeptanz für eine bereits in Planung bestehende Idee zu generieren versucht. Mangelnde Akzeptanz gegenüber Netzen, Windrädern oder Biogasanlagen wird von den Projektträgern oftmals als Problem, als zu überwindende Hürde angesehen, anstatt zu verstehen, woher diese ablehnende Haltung stammt. Oftmals liegen die Gründe gar nicht im Projekt selbst, sondern in der Haltung oder in den Vorgehensweisen der Projektträger, bzw. im mangelnden Vertrauen ihnen gegenüber.

In vielen Fällen sind es drohende Konflikte oder Planungsunsicherheit, die die Projektträger zu Beteiligungsverfahren drängt. In den meisten dieser Vorhaben geht es dann, wenn überhaupt, eigentlich nur um die Verteilung von Kosten und Nutzen. Wer bekommt mehr von dem Kuchen? Es wird mit Gutachten und Gegengutachten um Abstand zu Wohnhäusern, um Betriebszeiten, um Erdverkabelungen etc. gerungen, und es werden finanzielle Anreize geboten. Wieviel das jeweils ist, hängt vom Willen der Projektträger, von gesetzlichen Rahmenbedingungen, der Stärke der Bürger und vielleicht auch von der politischen Stimmung in der Kommune ab. Dabei ist das grundsätzlich nicht einmal falsch, den Bürgern mehr Gestaltungsspielraum einzuräumen oder finanzielle Anreize zu bieten. Die meisten Unternehmen tun dies aber aus purem Opportunismus. Und immer wird bei dieser Gelegenheit der Begriff der Gerechtigkeit verwendet. Professor Armin Grunwald schrieb jüngst in einem Gastbeitrag für die Zeit: „Die gerechte Verteilung von Lasten und Nutzen der Energiewende ist die zentrale Voraussetzung für die weitere gesellschaftliche Akzeptanz.“

Öffentliche Debatte stärken

Wer aber definiert, was eine gerechte Verteilung ist? Jeder Beteiligte wird Gerechtigkeit in dem Sinne auslegen, wie es für ihn von Vorteil ist. Hierzu ein simples Beispiel: Wenn in einer Hausgemeinschaft die Reparatur für einen Aufzug anfällt, dann finden es die Wohneinheiten in den oberen Stockwerken gerecht, wenn alle für die Reparatur aufkommen, denn schließlich werden alle Kosten für die Liegenschaft geteilt. Die unteren Wohneinheiten finden es aber gerecht, wenn sie nichts bezahlen, schließlich nutzen sie den Aufzug nicht. Schon in diesem einfachen Beispiel lässt sich über Gerechtigkeit streiten. Wer aber kann für die Energiewende eine solche Rechnung formulieren und die Akteure, die daraus den Nutzen ziehen und die davon die Kosten tragen, definieren und zu einer solchen Verhandlung einladen? In unserer Gesellschaft besitzt niemand das Anrecht auf die Definition von Gemeinwohl. Wer das tut, hat ein Legitimationsproblem.

Im Zusammenhang mit der Energiewende werden neben dem Zubau und den Energiepreisen mit Sicherheit noch viele Akzeptanzfragen auftauchen und es ist fraglich, wie eine breite Bevölkerung an dieser Entwicklung teilhaben kann. Wenn wir es nicht schaffen, über technische Innovationen, smarte Systeme, regionale Strommärkte oder die Rolle der Prosumenten verstärkt öffentliche Debatten zu führen, mehr Austausch zwischen Experten, Politikern und Bürgern hinzubekommen, sondern uns weiterhin auf einseitig gesteuerte Dialogprozesse einlassen, dann wird sich der bestehende Vertrauensverlust in etablierte Institutionen weitervertiefen und die Skepsis gegenüber Neuem zunehmen.

Bürgerbeteiligungsprozesse optimieren

Wenn die Kommunen und Bundesländer ihre teilweise sehr ambitionierten Ausbauziele erreichen wollen, dann geht das nur mit den Menschen zusammen. Vielmehr als einseitige Beteiligung ist eine aktiv gestaltende Einbeziehung der Bürger vonnöten. Dies hat die Chance, dass der Kuchen nicht nur verteilt, sondern auch vergrößert wird. Wir brauchen deshalb für Bürgerbeteiligung besser strukturierte Verfahren, klarere Verbindlichkeiten für erarbeitete Ergebnisse und eine Anpassung von Planungsprozessen, die eine gestaltende Einbeziehung der Bürger oder Bürgervertreter erlauben. Gerade in öffentliche Stellen müssten mehr Kapazitäten geschaffen werden. Denn idealerweise sollten Beteiligungsprozesse für alle offen sein, die von einer Entscheidung betroffen sind und es sollte dabei Chancengleichheit bestehen.

Genauso wichtig ist die Haltung der Mitwirkenden: Bürgerbeteiligung ist nicht dafür gedacht, um Kräfte zu messen und zu gewinnen, sondern um zu verstehen. Das heißt, die Teilnehmer sollten einander mit dem nötigen Respekt begegnen und für ihre Interessen und Ansichten die zugrundeliegenden Gründe aufführen und zwar in einer Art, die die gegenüberliegenden Parteien verstehen und akzeptieren können.

Das Leitprinzip des BMBF-Bürgerreportes ist im Übrigen eine größtmögliche Verantwortung für die Energieerzeugung von unten nach oben und die Verantwortung für Steuerung und Versorgungssicherheit von oben nach unten zu organisieren. „Über die Dezentralisierung erhoffen wir uns auch eine Stärkung demokratischer Strukturen durch eine breite bürgerliche Beteiligung und die Übernahme von Verantwortung jedes Einzelnen für eine nachhaltige Zukunft“, heißt es dort. Anatol Itten

Seminar für Bürgerbeteiligung und Energiewende
Die 100 prozent erneuerbar stiftung veranstaltet zusammen mit der Universität Stuttgart, dem Forschungszentrum Zirius, der Dialogik gGmbH und der SRL (Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung) das Praxistraining Bürgerbeteiligung und Energiewende. In verschiedenen Workshops und Vorträgen wird gezeigt, wie Beteiligungsverfahren geplant, durchgeführt und dokumentiert werden. Rollen- und Planspiele ermöglichen den Einblick in die verschiedenen Perspektiven und Meinungen der lokalen Akteure.

Das Praxistraining findet an fünf Tagen, vom 22.-24. September und vom 6.-7. Oktober 2014 statt. Der Veranstaltungsort ist das Kongresszentrum und das Internationale Wissenschaftsforum in Heidelberg. Hier gibt's weitere Informationen und Anmeldemöglichkeit


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