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Tagebau TurówDeutschland als Streithelfer gefragt

Im Vordergrund eine Stadt, dahinter der Tagebau Turów und im Hintergrund ein Kohlekraftwerk
Der polnische Braunkohletagebau Turów und das dazugehörige Kraftwerk, liegen in einem Dreiländereck von Polen, Tschechien und Deutschland. (Bild: Martin Mašek, WikiCommons, CC BY-SA 3.0)  

Die EU hat eine Klage Tschechiens gegen Polen und den Kohletagebau in Turów offiziell veröffentlicht. Deutschland hat nun sechs Wochen Zeit dem Verfahren als Streithelfer beizutreten. Denn auch die deutsche Stadt Zittau ist durch den Tagebau bedroht.

21.04.2021 – Es ist ein noch nie dagewesener Fall: Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union verklagt ein Mitgliedsstaat einen anderen wegen Umweltproblemen. Wegen erheblichen Umweltauswirkungen auf tschechischem Gebiet verklagt das Land den Nachbarstaat Polen wegen deren Genehmigung zur Fortführung des Braunkohletagebaus Turów. Im Osten und Süden grenzt der polnische Tagebau an Tschechien, im Westen an Deutschland. Im Falle grenzüberschreitender Auswirkungen umweltschädlicher Einflüsse müssten nach europäischem Recht eigentlich öffentliche und transparente Konsultationen zwischen den betroffenen Ländern durchgeführt werden.

In der angrenzenden tschechischen Region Liberec wird vor allem der immense Verlust von Trinkwasser befürchtet. Damit der Tagebau nicht vollläuft, müssen Unmengen an Grundwasser abgepumpt werden. Während eine Umweltverträglichkeitsprüfung polnischer Behörden ein Sinken des Grundwasserspiegels von vier Metern bis 2044 prognostiziert, kam eine Untersuchung von tschechischer Seite zu dem Ergebnis, dass der Grundwasserspiegel allein im Jahr 2020 um acht Meter fiel.

Die Region Liberec legte vor der Europäischen Kommission Beschwerde gegen Polen und deren Genehmigung für den Weiterbetrieb des Tagebaus bis 2026 ein, dem die Kommission Ende vergangenen Jahres Recht gab, was Tschechien die Möglichkeit zur Klage vor dem Europäischen Gerichtshof bot.

Petra Urbanová, Rechtsanwältin bei Frank Bold, einer Rechtsorganisation, die betroffene Gemeinden in Tschechien unterstützt, meint, dass Polen nach der Stellungnahme der Europäischen Kommission die Verstöße hätte korrigieren müssen. „Stattdessen beschloss Polen genau in die entgegengesetzte Richtung zu gehen und stillschweigend ein Verfahren durchzuführen, um die fehlerhafte Ausweitung des Abbaus bis 2044 zu besiegeln“, so Urbanová.

Ende Februar schließlich legte die tschechische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen Polen ein, den die Europäische Union am Montag offiziell veröffentlichte. Damit besteht die Möglichkeit für weitere EU-Länder dem Verfahren als Streithelfer beizutreten. Besonders von deutscher Seite müsste das Interesse groß sein, dem Verfahren beizutreten.

Deutsche Grenzregion gefährdet

Denn auch die deutsche Grenzregion und vor allem die Stadt Zittau sind durch den Tagebau Turów in ihren Grundfesten bedroht. Weniger als fünf Kilometer vom Zentrum Zittaus entfernt beginnt der Tagebau. Eine Studie im Auftrag der Frank Bold Society und Greenpeace aus dem vergangenen Oktober belegt, dass Zittau innerhalb eines sogenannten Senktrichters liegt, wodurch sich der Boden in der Umgebung absenkt. Mehr als einen halben Meter könnte sich der Boden in Zittau bis 2044 absenken. Und der Boden hat sich bereits abgesenkt, was zu Schäden an mehreren Gebäuden führte.

Gegen die genehmigte Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für den Tagebau Turów seitens der polnischen Behörden, legten Zittau und weitere Interessensgruppen Berufung ein. Demnach fehlten in der deutschen Übersetzung der UVP wichtige Kapitel und Informationen und die vorhandenen waren schlecht übersetzt. Deutsche Behörden wussten daher vor der Erteilung der Lizenz im März 2020 nicht, welche negativen Auswirkungen tatsächlich mit der Fortführung des Tagebaus verbunden waren. Doch die UVP war auch verknüpft mit einer sofortigen Durchsetzungsklausel, weshalb die Berufung ohne Wirkung blieb.

Aufgrund der Studie von Frank Bold Society und Greenpeace und der bereits sichtbaren Schäden an Häusern, legte auch die Stadt Zittau, gemeinsam mit dem Grünen Abgeordneten im sächsischen Landtag Daniel Gerber, Beschwerde ein. Neben der Absenkung des Bodens bereiten auch hohe Konzentrationen von Sulfat, Cadmium, Uran und Nickel in der Neiße Sorge, der die Grenze zwischen Deutschland und Polen markiert. Die Schadstoffe gelangen nachweislich durch die Entwässerung des Tagebau Turów in die Umgebung.

Der Oberbürgermeister von Zittau Thomas Zenker sagte zur Einreichung der Beschwerde im Januar: „Manche befürchten jetzt vielleicht Schaden daraus für die gewachsene gute regionale Zusammenarbeit. Wir sehen das aber anders: Grundlage für ein gutes Miteinander sind klare und gemeinsam getragene Regeln.“ Es wird jedoch befürchtet, dass das Verfahren zu der Beschwerde einige Jahre in Anspruch nehmen wird.

Beitritt Deutschlands als Streithelfer naheliegend

Ein Beitritt Deutschlands als Streithelfer vor dem Europäischen Gerichtshof scheint daher naheliegend. Damit könnte Deutschland mit zusätzlichen Informationen in dem Verfahren Tschechiens gegen Polen unterstützen. Daniel Gerber sagte auf Anfrage der energiezukunft: „Ich erwarte das die Bundesregierung nach der Veröffentlichung der Klage auch zu ihrem Wort steht, sie intensiv prüft und dann entsprechend im Interesse der Bundesrepublik und des Freistaates Sachsen handelt.“

Dabei verweist Gerber auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wetzel, wie die Bundesregierung zum Klageverfahren stehe und ob eine Beteiligung angedacht sei. Die Antwort der zuständigen Staatsekretärin Claudia Dörr-Voß aus dem Wirtschaftsministerium: „Sobald die Zusammenfassung der tschechischen Klageschrift im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht ist, wird die Bundesregierung prüfen, ob eine Beteiligung als Streithelferin in diesem Verfahren in Betracht kommt.“ Dies ist nun der Fall.

Gerber sagte aber auch, dass eine Klage gegen einen Nachbarstaat nur das letzte Mittel einer Auseinandersetzung sein solle. Eine außergerichtliche Einigung zwischen Polen und Tschechien sei im Interesse aller und stehe beiden Parteien noch immer offen. Dies sieht auch Anna Cavazzini, sächsische Europaabgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament, so.

Laut Cavazzini bestehe, neben der Klage Tschechiens, zusätzlich die Möglichkeit, dass die EU-Kommission aufgrund der Beschwerden der Regionen Liberec und Sachsen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen einleite, um den Kohleabbau in Turów so schnell wie möglich zu stoppen. mf    


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