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KlimakriseDeutschland geht aus dem Energiecharta-Vertrag

RWE-Schaufelradbagger nahe der Abbruchkante beim Hambacher Forst. Foto während der Anti-Kohle-Demo Oktober 2018
RWE-Schaufelradbagger nahe der Abbruchkante beim Hambacher Forst. Foto während der Anti-Kohle-Demo Oktober 2018. (Foto: Dinock90 / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0)  

Nachdem eine echte Reform des Energiecharta-Vertrags gescheitert war, hat nun auch Deutschland seinen Austritt angekündigt und folgt damit weiteren EU-Ländern. NGOs, Aktivisten und Politik sehen darin einen großen Schritt in Richtung Klimaschutz.

15.11.2022 – Am Freitag hat die deutsche Bundesregierung ihre Absicht erklärt, sich aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) zurückzuziehen. Sie folgt damit anderen EU-Mitgliedsländern. Viele Experten und Klimaaktivisten hatten das lange gefordert und zeigen sich zufrieden. Der Vertrag über die Energiecharta wurde in den 1990er Jahren unterzeichnet, zu einer Zeit, als Öl- und Gaskonzerne ihre Investitionen vor politischer Instabilität in den damaligen Ostblockstaaten absichern wollten.

Der Investitionsschutzvertrag sollte vor willkürlicher Enteignung schützen. Tatsächlich hat er seit Fall der Mauern und Grenzen und Auflösung der Sowjetunion eine Schattenjustiz geschaffen, die es Investoren ermöglicht, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, die bereits rechtliche Änderungen wie schärfere Klimaschutzauflagen als Enteignung auslegen. Das ist mit dem ECT möglich, obwohl es gegen das Pariser Klimaabkommen verstößt.

So verklagte der schwedische Energiekonzern Vattenfall den deutschen Staat aufgrund des Atomausstiegs und wegen Umweltauflagen für ein Kohlekraftwerk. Nicht weniger dreist war die Klage des fossilen Energieriesen RWE gegen die Niederlande aufgrund ihres geplanten Kohleausstiegs. Um nur zwei Beispiele zu nennen. Der Europäische Gerichtshof erklärte den Energiecharta-Vertrag im September 2021 zwar als unwirksam für Streitigkeiten zwischen Europäischen Mitgliedstaaten und entzog damit Dutzenden in der EU anhängigen Verfahren formal die Grundlage. Doch die Schiedsgerichte gehen real weiter.

Die Europäische Kommission wollte auf der Grundlage eines von den 27 EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2019 erteilten Mandats eine Reform des Vertrags aushandeln und ihn an den Klimazielen des Pariser Abkommens ausrichten. Doch das Ergebnis der Reformverhandlungen war enttäuschend. Nach jahrelangen Diskussionen konnten sich die Mitgliedsländer nicht auf eine Reform einigen, die den Pariser Klimazielen und dem European Green Deal entspricht.

Klimamaßnahmen sollen auch nach der Reform nicht grundsätzlich von Investorenklagen ausgenommen werden. Denn für bestehende Investitionen in fossile Brennstoffe erlischt der Rechtsschutz „nach 10 Jahren“ – ab Inkrafttreten des reformierten ECT. Noch bis mindestens 2033 wird der Energiecharta-Vertrag also weiter Investitionen in fossile Energien schützen. Beschränkungen des Investitionsschutzes für fossile Brennstoffe soll es zudem nur in EU und UK geben, nicht in den übrigen Ländern.

Auch die deutsche Bundesregierung hatte sich für signifikante Änderungen der Investitionsschutzstandards und die Verkürzung der Fortgeltungsklausel eingesetzt. NGOs, Wissenschaftler und Klimaschützer hatten die Bundesregierung aufgerufen, gemeinsam mit den anderen EU-Ländern einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag zu beschließen, denn die Reform könne die Anforderungen der Ampelregierung nicht erfüllen. Wenn die Reformgespräche scheitern oder Länder austreten, gilt eine 20-jährige sog. „Sunset-Klausel“, in der Energieinvestitionen weiterhin rechtlichen Schutz nach dem ECT genießen.

NGOs warnten zudem vor der geplanten Ausweitung des Vertrags auf neue Energieträger und Technologien – wenn in Zukunft auch Investoren in Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe und CO2-Abscheidung und -Speicherung unter dem reformierten ECT klagen könnten.

Einige EU-Länder hatten nach Scheitern der Reform bereits ihren Rückzug aus dem überholten Vertrag angekündigt – darunter Spanien, Polen, die Niederlande und Frankreich. Deutschland war noch zögerlich, wolle nun aber zügig beschließen, hieß es aus Regierungskreisen.

„Großer Erfolg für Klima und Demokratie“, kommentierten die deutschen NGOs Umweltinstitut München und PowerShift am Freitag in einer Erklärung. „Unsere jahrelange Arbeit hat sich gelohnt“, sagte Ludwig Essig, Referent für Handelspolitik am Umweltinstitut München. „Der Austritt Deutschlands aus dem Energiecharta-Vertrag ist ein Leuchtturm für den Klimaschutz und für unsere Demokratie.“

Auch der aktuelle IPCC-Bericht kritisierte den ECT als Mittel der Fossilindustrie, Klimaschutz zu blockieren. Wissenschaftler hatten die EU in einem offenen Brief aufgefordert, aus dem Vertrag auszusteigen. „Heute ist ein großer Tag für den Klimaschutz in Deutschland, Europa und weltweit“, kommentierte Andreas Audretsch, Vizepräsident der Grünen im Bundestag, nun die aktuelle Entscheidung. na


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