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Niederlande: Neue Mühlen braucht das Land

Die Niederlande könnten sogar das wenig ambitionierte EU-Ziel von 12 Prozent Erneuerbare-Energien-Anteil bis 2020 am Endenergieverbrauch verfehlen. (Foto: EssentNieuws, CC BY-SA 2.0, https://www.flickr.com/photos/65958622@N06/6005560602)
Die Niederlande könnten sogar das wenig ambitionierte EU-Ziel von 12 Prozent Erneuerbare-Energien-Anteil bis 2020 am Endenergieverbrauch verfehlen. (Foto: EssentNieuws, CC BY-SA 2.0, https://www.flickr.com/photos/65958622@N06/6005560602)

Die Energieversorgung der Niederlande steht am Scheideweg. Die Erdgasvorräte im Land gehen zur Neige und die Energieimporte nehmen zu. Dennoch kommt der Ausbau der Erneuerbaren nicht so recht in Schwung, sogar die wenig ambitionierten EU-Ziele für 2020 werden wohl nicht erreicht.

17.12.2015 – „De molen draait niet met de wind die voorbij is“, lautet ein niederländisches Sprichwort, was so viel bedeutet wie: Man muss die Gelegenheit beim Schopfe packen. Die natürlichen Bedingungen, um an Land oder auf dem Meer Windmühlen zu errichten, sind in den Niederlanden ausgezeichnet. Dennoch hat die rund 17 Millionen Einwohner zählende Nordseenation in Sachen Windkraftnutzung noch viel Luft nach oben. Gegenüber anderen Nordsee-Anrainerstaaten wie Dänemark oder Deutschland fiel der Windenergiezubau in den vergangenen Jahren bescheiden aus, ein Bild, das sich auf die anderen Erzeugungsarten regenerativer Energien in den Niederlanden übertragen lässt. Dabei ist der Einsatz von Windenergie ein historischer Bestandteil der Landeskultur. Sie wurde nicht nur genutzt, um Korn zu mahlen, sondern unter anderem auch zur Entwässerung von Sumpf- und Moorgebieten, um Siedlungs- und Ackerflächen zu schaffen. Mit der Entdeckung großer Erdgasvorkommen an Land und vor der Küste hat sich das Land von einer Wind zu einer Öl- und Gasnation entwickelt. Doch der Wind der Veränderung macht auch vor den Niederlanden nicht halt.

So zeichnet der Anfang Oktober veröffentlichte Jahresbericht 2015 des niederländischen Energieforschungszentrums ECN ein wenig schmeichelhaftes Bild von den Klimaschutzbemühungen in Deutschlands westlichem Nachbarland. Das im sogenannten Energieakkord 2013 gesteckte Ziel, bis 2020 den Anteil der Erneuerbaren am Bruttoendenergieverbrauch auf 14 Prozent auszubauen, wird laut ECN nicht erreicht werden. Mehr noch: Auch der im Jahresenergiebericht 2014 veröffentlichte Wert von 12,4 Prozent musste für die aktuelle Ausgabe des Energieberichts noch einmal nach unten korrigiert werden. Mit einem voraussichtlichen Erneuerbaren-Anteil von 11,9 Prozent im Jahr 2020 scheitern die Niederlande sogar an der wenig ambitionierten Zwölf-Prozent-Hürde – die gemeinsamen 2020-Ziele der EU sehen einen Gesamtanteil von 20 Prozent am Endenergieverbrauch vor. Zum Vergleich: In Deutschland erreichen die Erneuerbaren einen Endenergieanteil von 13,5 Prozent (BMWi, 2015). Das deutsche 2020-Ziel liegt bei 18 Prozent.

„Die Niederlande wollen die europäischen Ziele auf die kosteneffizienteste Weise erreichen”, hatte das zuständige Wirtschaftsministerium 2011 als Marschroute für den Ausbau der erneuerbaren Energien unter der damaligen von der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) sowie dem Christdemokratischen Appell gebildeten Minderheitsregierung ausgegeben. Nach Veröffentlichung des Energie-Jahresberichts 2015 musste der amtierende niederländische Wirtschaftsminister Henk Kamp nun unlängst einräumen, noch einen Zahn zulegen zu müssen, um die Ziele zu erreichen. Auch unter der seit 2012 amtierenden Großen Koalition aus VVD und der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid (PvdA) dominiert ein Mix aus Kohle, Erdöl, Kernenergie und Erdgas den niederländischen Energiemarkt, wobei Letzteres die mit Abstand bedeutendste Energiequelle darstellt. Doch die Vorkommen im Gasfeld Groningen, dem größten Erdgasfeld auf dem europäischen Kontinent und für rund die Hälfte der jährlichen Erdgasproduktion in den Niederlanden verantwortlich, gehen zur Neige und werden in absehbarer Zeit erschöpft sein. Und noch ein weiteres Problem droht der Erdgasförderung den Garaus zu machen: Seit 2013 haben die Bohrungen von Shell und Exxon Mobil, die jeweils 50 Prozent der Anteile am Gasfeld-Betreiber Nederlandse Aardolie Maatschappij (NAM) halten, nach Angaben der niederländischen Regierung 196 Erdbeben verursacht.

Trotz dieser Ausgangslage gehen die Bemühungen um den Umbau des niederländischen Energiesystems nur schleppend voran. Die europäische Statistikbehörde Eurostat zählt die Niederlande zu denjenigen EU-Mitgliedstaaten, die noch am weitesten von ihren 2020-Zielmarken entfernt sind. Das niederländische Statistikamt CBS beziffert den Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch aktuell mit lediglich 5,6 Prozent.

Das Verfehlen der Klimaschutzziele sorgt nicht nur auf europäischer Ebene für Verstimmungen. Im Juni dieses Jahres hatte ein Zivilgericht in Den Haag dem niederländischen Staat attestiert, zu wenig für den Klimaschutz zu unternehmen. Dem Richterspruch war eine Klage der Stiftung Urgenda vorausgegangen, die sich für einen schnelleren Übergang in eine nachhaltige Gesellschaft engagiert und dabei insbesondere auf den Einsatz erneuerbarer Energien baut. Die Richter gaben der Klage in erster Instanz statt und forderten die Regierung auf, das Treibhausgas-Reduktionsziel von ursprünglich 17 Prozent bis 2020 auf 25 Prozent zu erhöhen. Mittlerweile hat die niederländische Regierung am obersten Gerichtshof Berufung gegen das Urteil eingelegt. Dennoch steht zu erwarten, dass der Ausbau der grünen Energien in den kommenden Jahren forciert werden wird.

Solarenergie, Geothermie und Wasser- beziehungsweise Wellenkraft spielen im Erneuerbare-Energien-Mix der Niederlande nur eine untergeordnete Rolle. Laut Energieakkord 2013 wollen die Niederlande beim Erneuerbaren-Ausbau das Hauptaugenmerk auf die Windkraft richten. Konkret sehen die Ziele die Erhöhung der Offshore-Windenergiekapazität von 1.000 Megawatt (MW) (Stand 2014) auf 4.450 MW bis 2023 vor. Parallel dazu soll die Onshore-Windenergieleistung bis 2020 auf 6.000 MW anwachsen (2014: 2.500 MW).

Die derzeit wichtigste Erzeugungsform im Erneuerbaren-Mix der Niederlande ist jedoch Biomasse. 2013 wurden allein rund sechs Terawattstunden (TWh) Strom durch Bioenergie erzeugt, das entspricht einem Anteil von annähernd 50 Prozent am Erneuerbaren-Strom. Betrachtet man zudem auch den Wärme- und Verkehrssektor, macht Biomasse sogar rund drei Viertel der Energie aus regenerativen Quellen aus. Laut Energieakkord soll dieser Wert auch im Jahr 2020 bei mehr als 50 Prozent liegen. Die Bedeutung von Bioenergie ist eng mit der wirtschaftlichen Ausrichtung der Niederlande verknüpft. Nach Angaben der Deutsch-Niederländischen Handelskammer (DNHK) sind die Niederlande mit rund 82.000 landwirtschaftlichen Betrieben der weltweit drittgrößte Exporteur von Agrarprodukten. Im Verbund mit der Lebensmittelbranche bildet der Agrarsektor damit den wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes.

Pro Jahr entstehen in dem Sektor rund 70 Millionen Tonnen energetisch verwertbaren, ökologischen Abfalls. Biogas-Produzenten können zwischen der Einspeisung ins Gas- oder Stromnetz und der Herstellung von Biomethan als Kraftstoff oder als Einsatzstoff für die chemische Industrie wählen. „Die Niederlande sind auch für deutsche Unternehmen besonders im Bereich der Einspeisung von Biomethan ein sehr interessanter Markt“, sagt Sebastian Stolpp, Referatsleiter International beim Fachverband Biogas und langjähriger Generalsekretär des Europäischen Biogas-Verbands EBA. Aktuell stellt die Produktion von Biomethan für Betreiber von Biogasanlagen die wirtschaftlich lohnendere Alternative dar, da der Marktpreis für Strom aus Bioenergie in den letzten Jahren von 13 Cent auf weniger als fünf Cent pro Kilowattstunde gefallen ist.

Allerdings warnt der Niederländische Verband der Biomethanproduzenten explizit vor Komplikationen beim Antragsverfahren für die Einspeisegenehmigung und Schwankungen bei den Einspeisetarifen. Aufgrund der räumlichen Nähe und geringer Sprachbarrieren hätten deutsche Biogasunternehmen wie Envitec, UTS und PlanET schon vor einigen Jahren den Markteinstieg in Deutschlands westlichem Nachbarland erfolgreich vollzogen, so Stolpp. Auch die DNHK sieht beträchtliche Marktchancen für kleine und mittelständische Unternehmen aus dem Bioenergiesektor. Nach Angaben des Energieforschungsinstituts ECN könnte es in den nächsten sechs Jahren zu einer Verdopplung der mehr als 350 bestehenden Biogasanlagen in den Niederlanden kommen.

Demgegenüber zieht der Ausbau der Windenergie nur allmählich an, obwohl windreiche Standorte an Land und auf dem Meer durchaus vorhanden sind. Gleichwohl hat der Service- und Wartungsspezialist Deutsche Windtechnik im Oktober eine Niederlassung in Utrecht eröffnet. „In den Niederlanden wächst der Markt für Wartung und Service-Dienstleistungen immer noch. Die großen Hersteller haben eigene Service-Organisationen, daneben gibt es aber auch Raum für unabhängige Unternehmen, die Wartung und Service anbieten. Im Rahmen unserer Internationalisierung möchten viele unserer Kunden uns für ihre internationalen Projekte einsetzen. Mit unseren individuellen Dienstleistungspaketen können wir auch den Kunden in Holland ein sehr gutes Angebot machen“, sagt Niederlassungsleiter Gert Timmers. „Einerseits geht der Trend in den Niederlanden in Richtung mehr Windenergie, sowohl zu Lande als auch im Meer. Andererseits war der Druck für niedrigere Elektrizitätskosten nie höher.“ Aktuell seien die Strompreise niedrig und die niederländische Regierung möchte so wenige Zuschüsse wie möglich zahlen. Somit gebe es einen wachsenden Bedarf an Dienstleistungsunternehmen, die Expertise im Bereich Windenergie mit Kosteneffizienz kombinieren.

Laut Energieakkord sollen die Niederlande bis 2020 weitere zwölf Gigawatt an Windenergiekapazität errichten. Dabei spielt das Subventionsprogramm „Stimulering Duurzame Energieproductie“ (SDE+) eine zentrale Rolle. Es legt ein festes Gesamtjahresbudget für alle erneuerbare Energieformen fest. Die jährliche Summe stellt stets die umfassende Budgetobergrenze für alle erneuerbaren Energieerzeuger dar. Derzeit liegt dieser Förderbetrag bei 3,5 Milliarden Euro. Im Rahmen sequenzieller Ausschreibungen konkurrieren die Bieter mittels ihrer jeweiligen Stromgestehungskosten über mehrere Runden in festgelegten Preiskategorien. Das Verfahren soll Technologieneutralität sicherstellen und verhindern, dass einzelne Regionen oder Standorte diskriminiert werden. „Für die Windenergie ist das Förderungssystem kein Problem. Kleine und große Marktteilnehmer können in den Niederlanden erfolgreich Projekte entwickeln. Für Windenergieprojekte an Land ist es allerdings sehr schwierig, eine Genehmigung zu erhalten“, fasst Timmers seine bisherigen Erfahrungen zusammen. In der Regel dauere es fünf bis zehn Jahre, ehe ein großer Windpark an Land gebaut werde. Bei großen Projekten über 100 Megawatt übernehme daher die Regierung die Projektsteuerung, während für kleinere Projekte die Provinzen und Gemeinden zuständig seien. Dennoch zeigt sich Timmers zuversichtlich: „Es wird im Windenergiesektor in den nächsten Jahren onshore und offshore Wachstum geben.“

Davon ist auch Henk Lagerwey überzeugt. Der Gründer des einzig verbliebenen rein niederländischen Windenergieanlagen-Herstellers in der Multi-Megawattklasse ist ein Urgestein der Windenergiebewegung im Nachbarland. Sein Unternehmen Lagerwey Wind gründete er im Jahr 1979. Die erste Turbine konstruierte er sogar schon 1973. Wirtschaftliche Gründe zwangen das Unternehmen 2003 in den Konkurs. Man habe nicht mehr mit der Konkurrenz mithalten können, die zunehmende Größe der Windparks und das damit verbundene wachsende Investitionsaufkommen habe Lagerwey Wind nicht mehr mitgehen können, hieß es damals. 2006 erfolgte die Neugründung des Anlagenbauers. Aktuell umfasst das Produktportfolio von Lagerwey Wind sechs getriebelose Anlagentypen in der Klasse von 1,5 bis 3,6 Megawatt. „Im Vergleich zu anderen Herstellern befinden wir uns, was die Größe unseres Unternehmens angeht, am unteren Ende der Skala“, sagt Lagerwey. Dennoch rechne er sich für sein Unternehmen gute Marktchancen aus. „Aktuell bauen wir etwa 20 Anlagen im Jahr, theoretisch wären aber auch 40 Anlagen möglich.“

Lagerweys Erfahrungen mit den Bemühungen der niederländischen Regierung, den Ausbau der Windenergie zu beschleunigen, sind dabei jedoch eher zwiespältig. „In den ersten Jahren von SDE war das Budget schnell für große Projekte aufgebraucht, viele dieser Projekte wurden aber bis heute nicht gebaut.“ Zwar gebe das Fördersystem Sicherheit, für 15 Jahre eine feste Vergütung zu erhalten, die Realität zeige aber, dass es lange dauert, ehe ein Projekt umgesetzt werde. „Auch mit einer vorliegenden Baugenehmigung können Anwohner noch Beschwerde gegen den Bau eines Windparks einlegen. So ein Beschwerdeprozess kann mehrere Jahre dauern“, so Lagerwey. Zudem gebe es insbesondere bei größeren Projekten immer wieder Schwierigkeiten mit der Finanzierung.

Dennoch bleibt der niederländische Windpionier optimistisch. „Unser Ziel heißt: 100 Prozent Erneuerbare im Jahr 2050.“
Isaac Bah (neue energie, Nr. 12 / Dezember 2015, S. 64-67)


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