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StudieDeutschlands Weg in die Klimaneutralität

Onshore-Windräder auf dem Land
Ein erster Schritt in Richtung Klimaneutralität: Die Windkraft an Land-Leistung muss von derzeit 54 auf 80 Gigawatt ausgebaut werden. (Foto: Zbynek Burival auf Unsplash)

In den nächsten 30 Jahren muss Deutschland seinen Ausstoß von Treibhausgasen auf null reduzieren. Dafür braucht es ein umfangreiches Investitions- und Zukunftsprogramm, die Klimaziele müssen angepasst werden. Eine aktuelle Studie zeigt wie das geht.

26.10.2020 – Mit großer Spannung wurde die Studie zum Projekt „Klimaneutrales Deutschland 2050“ erwartet, die dem 2019 vom Bundestag verabschiedeten Klimaschutzgesetz Leben einhauchen soll. Darin verankert ist nicht nur die Reduzierung der Treibhausgase um 55 Prozent bis 2030, sondern auch das Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Zusammen mit Agora Verkehrswende und der Stiftung Klimaneutralität hat der Thinktank Agora Energiewende die drei Institute Prognos, Öko-Institut und Wuppertal Institut mit einer Analyse von Szenarien und Varianten für ein klimaneutrales Deutschland beauftragt.

Die wichtigste Nachricht: Es ist möglich – Deutschlands Treibhausgasausstoß kann in den nächsten 30 Jahren durchaus auf null reduziert werden – auch wenn gerade die letzten fünf Prozent eine extreme Herausforderung darstellen. Diese unvermeidbaren Restemissionen müssten durch CO2-Abscheidung und -Lagerung ausgeglichen werden. Dafür sei insgesamt ein großes Investitions- und Zukunftsprogramm nötig, heißt es in der Studie. In allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen müssen die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas durch Strom aus Erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff ersetzt werden.

Mit drei Schritten zur Klimaneutralität

Diese drei Meilensteine definieren die Studienautoren auf dem Weg zur Klimaneutralität:

  1. Die Treibhausgasemissionen müssen bis 2030 um 65 Prozent gesenkt werden – und nicht um 55 Prozent.
  2. Anschließend muss man vollständig auf klimaneutrale Technologien umsteigen und die Emissionen bis 2050 um 95 Prozent senken.
  3. Unvermeidbare Emissionen müssen durch CO2-Abscheidung und -Ablagerung ausgleichen werden.

Eine zügige Energiewende hat nun in der nächsten Dekade oberste Priorität – inklusive der Elektrifizierung von Verkehr, Wärme und Industrie sowie der energetischen Sanierung fast aller Gebäude. Zudem muss die Infrastruktur für eine grüne Wasserstoffproduktion aufgebaut werden, sodass auch jene Bereiche ihre Emissionen auf null absenken können, für die es ansonsten keine brauchbaren Alternativen gibt: zum Beispiel der Flugverkehr, die Industrie oder die Schifffahrt. In diesem Zusammenhang sprach Rainer Baake, Direktor von der Stiftung Klimaneutralität, bei der Vorstellung der Studie am vergangenen Donnerstag vom „ganz teuren Champagner der Energiewende“.

Zunächst muss das Klimaschutzziel 2030 der Bundesregierung angepasst werden, dass im Vergleich zum Jahr 1990 derzeit lediglich eine Reduzierung der Treibhausgase um 55 Prozent vorsieht. Damit Deutschland bis 2050 klimaneutral werden kann, müssen die Emissionen in den nächsten zehn Jahren bereits um 65 Prozent sinken. Dafür braucht es eine Erhöhung des im aktuellen EEG 2021-Entwurf angestrebten Ziels von 65 Prozent Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bis 2030 auf 70 Prozent. Der Zubau von Wind- und Solarenergie muss sich dafür gegenüber dem heutigen Niveau verdreifachen.

„Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitions- und Zukunftsprogramm für Deutschland, vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er/60er-Jahren“, sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Dafür müssen wir beim Ausbau von Wind- und Solaranlagen alles geben, sie bilden den Grundpfeiler für eine klimaneutrale Bundesrepublik. Ihr Ausbau ist von nun an nicht mehr nur im öffentlichen Interesse, sondern dient der nationalen und wirtschaftlichen Sicherheit.“

Wie sehen die Maßnahmen in den einzelnen Sektoren im Detail aus, die Deutschland zur Klimaneutralität verhelfen sollen?

1. Energiewirtschaft: Die Hauptsäule des Klimaschutzes

Der Kohleausstieg wird beschleunigt und bis zum Jahr 2030 vollzogen. Dafür muss die derzeit installierte Photovoltaik-Leistung auf 150 Gigawatt verdreifacht, die Windkraft an Land-Leistung von derzeit 54 auf 80 Gigawatt und die Windkraft auf See-Leistung von 8 auf 25 Gigawatt ausgebaut werden. In diesem Sektor können die jährlichen CO2-Emissionen um 207 Millionen Tonnen sinken, was knapp der Hälfte der bis 2030 nötigen Minderung von 420 Millionen Tonnen entspricht. Bis 2050 steigt der Erneuerbaren-Anteil dann auf 100 Prozent, wobei die Stromnachfrage aufgrund der umfassenden Elektrifizierung und steigenden Herstellung von Wasserstoff um rund 50 Prozent ansteigt.

2. Verkehr: Der Ausstieg aus dem Öl ist eingeläutet

Im Pkw-Markt werden sich Elektroautos durchsetzen und Verbrenner bis spätestens 2035 europaweit verdrängen, sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende. Im Güterverkehr wird bereits in zehn Jahren ein Drittel der Lkw-Fahrleistung mit Stromantrieb erbracht. Ab 2050 werde der Straßengüterverkehr jeweils zu einem Drittel über Batterien, Oberleitungen und Brennstoffzellen angetrieben. Gleichzeitig nimmt der Güterverkehr über die Schiene bis 2030 um 44 Prozent zu. Insgesamt verlagert sich der Verkehr zunehmend auf Bus, Bahn und Fahrrad, immer mehr Wege werden zu Fuß zurückgelegt. Die individuelle Pkw-Nutzung sinkt bis 2050 um 30 Prozent.

3. Industrie: Ein Mix aus Erneuerbaren Energien und Wasserstoff

In diesem Sektor wird neben der direkten Versorgung mit Strom aus Erneuerbaren Energien auch der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur entscheidend sein. Diese ersetzt bis 2050 dann nach und nach die Verwendung von Erdgas. Dafür muss zukünftig etwa drei Viertel des benötigten Wasserstoffs importiert werden. Es führe jedoch kein Weg daran vorbei, unvermeidbare CO2-Emissionen – wie etwa beim Kalkbrennen bei der Zementproduktion – abzuscheiden und unterirdisch zu speichern (Carbon Capture and Storage; CCS).

4. Gebäude: Vollständige energetische Sanierung nötig

In diesem Sektor ist die Steigerung der Energieeffizienz besonders wichtig. Trotz einem deutlichen Ausbau der Erneuerbaren werden Strom und Wasserstoff nicht im Überfluss zur Verfügung stehen. Deshalb ist eine vollständige energetische Sanierung fast aller Gebäude bis 2050 unabdingbar. Die Bedeutung von Wärmepumpen wird stark zunehmen, bereits 2030 werden sie sechs Millionen Gebäude beheizen.

5. Landwirtschaft: Methanemissionen reduzieren

In den nächsten zehn Jahren ist zunächst die Verringerung der Methanemissionen aus Gülle entscheidend – etwa durch die Vergärung in Biogasanlagen. Eine Verringerung der Tierbestände reduziert weitere Emissionen. Darüber hinaus müssen CCS-Technologien – ähnlich wie in der Industrie – unvermeidbare Treibhausgase neutralisieren.

Diese Ziele und Maßnahmen gehen weit über die bisher geführte Diskussion zur Erreichung der Pariser Klimaziele hinaus. Sollten diese Wege tatsächlich beschritten werden, stehen weitreichende Veränderungen ins Haus. Die Bezeichnung Strukturwandel ist dafür fast zu harmlos.

Eine ausführliche Version der Studie – mit Ergebnissen für alle Sektoren, Modellierungsvarianten und Methodenteil – wird im November veröffentlicht. Die Weichen für die Klimaneutralität 2050 werden laut Baake in der kommenden Legislaturperiode gestellt. „Das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 2021 ist deshalb von zentraler Bedeutung. Kluge Instrumente und Politiken modernisieren die Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands in Richtung Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Gleichzeitig gestaltet gute Politik den anstehenden Strukturwandel so, dass er alle mitnimmt“, so Baake. jk


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