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Energiecharta-VertragWie sich EU-Staaten wirksam vor fossilen Konzernen schützen können

Schwarz-weiß-Bild rauchender Wasserdampftürme
Ein Kohlekraftwerk von RWE in Nordrhein-Westfalen. Mutmaßlich konnte der Energiekonzern auch vor dem Hintergrund des Energiecharta-Vertrages Milliarden an Entschädigungen für den Kohleausstieg raushandeln. (Bild: x1klima, flickr, CC BY-ND 2.0)  

Innerhalb der EU erklärten Richter den Energiecharta-Vertrag bereits für unwirksam. Laut einem neuen Gutachten gilt dies auch für Verfahren mit Klägern außerhalb Europas. Ein Austritt der EU-Staaten ist Voraussetzung, wie zuletzt die Niederlande.

20.10.2022 – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte in der Vergangenheit bereits, dass Schiedsverfahren auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags nicht mit EU-Recht vereinbar sind. Grundlage waren innereuropäische Verfahren von Investoren gegen Länder nach dem Energiecharta-Vertrag, Der Vertrag wurde ursprünglich geschlossen, um Investitionen westlicher Konzerne in den ehemaligen Ostblockstaaten anzuregen und abzusichern. Investoren haben demnach die Möglichkeit, Staaten vor eigens geschaffenen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie enteignet werden. Als Enteignung gilt bereits, wenn ein Staat neue Regeln aufsetzt, die die Investitionsbedingungen verschlechtern. Häufig verklagen fossile Konzerne Länder mit neuen Klimaschutzmaßnahmen, die deren Geschäft beeinträchtigen. 

Das EuGH urteilte jedoch, dass solche Schiedsverfahren im Widerspruch zur „Autonomie des Unionsrechts“ stehen. Das bedeutet, dass Mitgliedsstaaten der EU verpflichtet sind nach Bestimmungen von EU-Verträgen selbst zu handeln. Es sei demnach allein Sache nationaler Gerichte und des EuGH über Streitigkeiten zwischen Mitgliedsstaaten und deren Bewohner:innen – und damit auch von Unternehmen – zu entscheiden. Die privaten Schiedsgerichte, die sich öffentlichen Institutionen entziehen und oft im Geheimen tagen, seien nicht Teil dieses Systems, so das EuGH. Das Oberverwaltungsgericht Köln hatte dieses Urteil zuletzt bestätigt, und damit die Klagen von RWE und Uniper gegen den vorgezogenen Kohleausstieg in den Niederlanden als Verstoß gegen das Europarecht klassifiziert.

Untätigkeitsklage auf Austritt

Die Niederlande verkündete Anfang der Woche den Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag. Zuletzt hatten auch Spanien und Polen den Ausstieg erklärt. Die Rechtsanwält:innen Roda Verheyen und Johannes Franke von der Kanzlei Günther empfehlen in einem Gutachten im Auftrag des Umweltinstitut eine Nichtigkeits-, bzw. Untätigkeitsklage auf Austritt anzustrengen. „Dies könnte verhindern, dass Schiedssprüche innerhalb der EU vollstreckt werden und gleichzeitig die sogenannte Sunset-Klausel aufheben“, so die Anwält:innen. Die Sunset-Klausel besagt, dass der Investorenschutz weitere 20 Jahre lang gilt, selbst wenn ein Land aus dem Energiecharta-Vertrag austritt.

Die Sunset-Klausel bekam zuletzt Italien zu spüren, dass trotz seines bereits 2016 beschlossenen Austritts aus dem Vertrag, im August diesen Jahres von einem privaten Schiedsgericht zu einer Zahlung von 250 Millionen Euro an das britische Öl- und Gasunternehmen Rockhopper Explorations verurteilt wurde. Doch das Gutachten der Kanzlei Günther kommt zu dem Ergebnis, dass Klagen zwischen einem Mitgliedsland der EU und einem Land außerhalb der EU ebenfalls illegal sind. „Sollte ein Schiedsgericht einen EU-Staat dazu verurteilen, Schadensersatz zu zahlen, muss der Schiedsspruch in der EU nicht vollstreckt werden“, fassen die Anwält:innen zusammen. Gerichte der Mitgliedsstaaten seien aufgrund der geltenden Rechtslage in der Pflicht, „Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen in der EU zu unterbinden.“

Wann steigt Deutschland aus?

„Italien wäre also gut beraten, gegen die Vollstreckung juristisch vorzugehen“, konstatiert Ludwig Essig, Experte für Handelspolitik am Umweltinstitut, auf Anfrage der energiezukunft. Da private Schiedsgerichte geltendes europäisches Recht weiter ignorieren würden, könne es für die Bundesregierung und weitere EU-Mitgliedssaaten nur die Konsequenz geben, in den nächsten Wochen aus dem Energiecharta-Vertrag auszusteigen, so Essig weiter.

Druck auf die Bundesregierung kommt auch aus der Fraktion der Grünen im Bundestag. Kathrin Henneberger, Obfrau im Unterausschuss internationale Klima- und Energiepolitik, brachte das Thema letzte Woche im Ausschuss auf die Tagesordnung. Henneberger appelliert gegenüber energiezukunft: „Inzwischen sollte es den meisten klar sein, dass ein veraltetes Infestitionsschutzabkommen, dass die fossile Industrie schützt und uns den Weg in eine klimagerechte Zukunft versperrt, abgeschafft werden sollte.“ Einem Bericht von Investigate Europe am heutigen Freitag zufolge, plant das Bundeswirtschaftsministerium den Ausstieg aus dem Abkommen. Ein entsprechender Vorstoß des Ministeriums befinde sich momentan in der Ressortabstimmung.Manuel Grisard


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