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Anti-Klima-AbkommenItalien verliert Energiecharta-Prozess und soll Ölkonzern Millionen zahlen

Blick von Siziliens Küstenort Cefalù auf das Meer
Um Sizilien herum und an der Adria entlang schwimme Italien auf einem Meer aus Gas und Öl, schwärmte 2014 der frühere Minister- und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi und warb für Bohrungen. (Foto: tomek999 / PixabayLicense)

Der italienische Staat wurde zur Zahlung von über 250 Millionen Euro an das britische Öl- und Gasunternehmen Rockhopper Explorations verurteilt. Die Entscheidung traf ein Investor-Staat-Streitbeilegungsgericht im Rahmen des Energiecharta-Vertrags.

26.08.2022 – Der Energiecharta-Vertrag (ECT) erweise sich damit einmal mehr als „Anti-Klima-Abkommen“, kommentierte das Umweltinstitut München das richterliche Urteil. Der Fall betreffe eine Regelung aus dem Jahr 2015, mit der die italienische Regierung auf den Widerstand der Öffentlichkeit und große Umweltbedenken reagierte und neue Öl- und Gasprojekte innerhalb von 12 Seemeilen vor der Küste verbot, berichtet das Umweltinstitut und erläutert die Hintergründe.

Ein ganz normaler Klimakrimi

Im Jahr 2015 verbot die italienische Regierung nach einer Bürgerinitiative Ölbohrungen in Gewässern innerhalb von 12 Meilen vor der Küste und damit auch das Projekt Ombrina Mare, das sich nur vier Meilen vor der Küste befindet. Im Jahr 2005 hatte das Ölunternehmen Mediterranean Oil & Gas eine Explorationsgenehmigung für das Ölfeld Ombrina Mare erhalten und war 2008 auf Öl gestoßen. Anschließend beantragte das Unternehmen eine Förderkonzession, die von den italienischen Behörden jedoch nie erteilt wurde.

Im Jahr 2014 kaufte Rockhopper das Ölunternehmen Mediterranean Oil & Gas für 29,3 Mio. GBP, berichtet das Umweltinstitut München weiter. Das Unternehmen zog vor ein italienisches Gericht, um die Konzession zu erhalten, verlor jedoch seine Klagen und die anschließende Berufung. Später brachte es den Fall vor ein Tribunal im Rahmen des ECT-Vertrags. Rockhopper habe Berichten zufolge 275 Millionen US-Dollar (wahrscheinlich zuzüglich Zinsen) gefordert, während das Unternehmen behauptet, etwa 29 Millionen US-Dollar investiert zu haben.

Die enorme Summe, die Rockhopper als Entschädigung forderte, betrage fast das Zehnfache der ursprünglichen Investitionssumme, erläutert das Umweltinstitut München. Tatsächlich ermögliche der ECT es dem Unternehmen, den Staat nicht nur auf Erstattung tatsächlich bereits investierter Summen, sondern auch für nicht realisierte Gewinne zu verklagen. Rockhopper bejubelt den „erfolgreichen Schlichtungsausgang“.

Klimaschmutz darf nicht weiter legitimiert werden

„Dieses Urteil ist ein Schlag ins Gesicht aller Steuerzahler:innen in Italien und eine Katastrophe für alle Klimaschutzbemühungen, weit über Italien hinaus“, kommentierte Ludwig Essig aus dem Fachbereich Handelspolitik am Umweltinstitut München das Urteil. Dass Konzerne eine demokratisch nicht legitimierte Paralleljustiz bemühen können, um Staaten für Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen zu bestrafen, sei nicht länger hinnehmbar. „Wir fordern die italienische Regierung auf, die Summe nicht zu bezahlen und die Vollstreckung juristisch anzufechten. Von den übrigen europäischen Staaten erwarten wir einen Plan für einen schnellstmöglichen, koordinierten Ausstieg aus dem ECT als Relikt der fossilen Ära.“

Ein Knebelvertrag, der die Klimaziele torpediert

Italien steht mit diesem Urteil keineswegs allein. Weitere europäische Staaten wie Deutschland oder die Niederlande haben mit dem ECT zu kämpfen, ein multilaterales Handelsabkommen, das Investitionen im Energiesektor schützt. Der Energiekonzern RWE verklagte 2021 die Niederlande auf Schadensersatz, weil das Land bis 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen wollte. Der Vertrag steht schon lange in der Kritik, weil er den Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft umstrittene Befugnisse einräumt, Länder wegen Klimaschutzmaßnahmen zu verklagen, die ihre Gewinne beeinträchtigen.

In Zeiten der Klimakrise ein absurder Vorgang. So weisen denn auch seit langem „Wissenschaftler, zivilgesellschaftliche Gruppen und der Weltklimarat IPCC darauf hin, dass der Vertrag ein inakzeptables Hindernis für Klimaschutzmaßnahmen darstellt“, so Essig. Der ECT eröffne ausländischen Unternehmen die Möglichkeit, „nationale Gesetze zu umgehen, indem sie ein paralleles Rechtssystem nutzen können, welches exklusiv ihnen zur Verfügung steht.“

Besonders grotesk: Italien hatte – nachdem sich die die 54 Unterzeichnerstaaten nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen konnten – bereits 2016 die Energiecharta im Alleingang verlassen. Das hindert Energiekonzerne jedoch nicht daran, das Land zu verklagen – denn aufgrund einer Verfallsklausel (der sog. „sunset clause“ oder treffender „Zombie-Klausel“) können Länder noch 20 Jahre nach dem offiziellen Ausstieg in Bezug auf bis dahin bestehende Investitionen verklagt werden.

Deshalb setzen Alleingänge wie der von Italien zwar ein Zeichen, ändern jedoch nichts an möglichen Klagen im Rahmen des Energiecharta-Vertrags. Nur wenn die EU-Staaten vor einem gemeinsamen Austritt vereinbaren, dass gegenseitig auf Schiedsgerichtklagen verzichtet wird, könnten die allermeisten Konzernklagen unterbunden werden.

Das ist leider nicht geschehen. Dabei hatte sogar der Europäische Gerichtshof 2021 nach jahrelangen Streitigkeiten geurteilt, dass Schiedsverfahren auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags nicht mit EU-Recht vereinbar sind. Doch die Schiedsgerichte ignorieren das Urteil des EuGH. Es bräuchte eine grundsolide Entscheidung des Rates, das Urteil auch umzusetzen.

Das Urteil im Fall Rockhopper erging nur wenige Wochen nachdem sich die Vertragsstaaten auf einen leicht modernisierten Vertragsentwurf geeinigt hatten, der nur Detail-Änderungen vorsieht, jedoch das entscheidende Element, nämlich den Schutz von Investitionen in fossile Brennstoffe, beibehält. Ähnliche Urteile wären damit also weiterhin möglich. na


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