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Schönt Ökostrom die Klimabilanz?

Viele Unternehmen beziehen Ökostrom, um das Klima zu schützen. Doch nicht jedes Ökostromprodukt hat einen hohen Umweltnutzen. Die Qualitätsunterschiede der Produkte werden bei Berechnungen von Klimabilanzen jedoch bislang nicht berücksichtigt.

26.01.2015 – Eigentlich sollte der Verbrauch von Strom so in Klimabilanzen berücksichtigt werden, dass hierdurch Anreize für echte Beiträge zum Klimaschutz sichergestellt werden. Das Problem: Die bisher gängigen Methoden, die Strom in Klimabilanzen berücksichtigen, haben eine nur geringe ökologische Aussagekraft. Sie  spiegeln nicht das Ausmaß eines ökologischen Zusatznutzens von Strom aus erneuerbarer Erzeugung wider. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Saarbrücker Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES gGmbH), die im Auftrag von EnergieVision e.V. erstellt wurde.

„Große Mengen von Strom aus Erneuerbaren Energien in Europa stammen nach wie vor aus alten Wasserkraft-Anlagen vor allem in Skandinavien“, erklärte Joß Bracker von der Geschäftsstelle des EnergieVision e.V., welches beim Öko-Institut angesiedelt ist. „Der Bezug von Strom aus erneuerbaren Quellen, der keine weiteren Gütekriterien erfüllt, trägt jedoch nicht zum verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien oder deren besserer Systemintegration bei, sondern ist zu weiten Teilen als Mitnahmeeffekte der Betreiber großer alter Wasserkraft zu betrachten.“ Handelt es sich um Strom aus alten Bestandsanlagen, trägt dies nicht zur Weiterentwicklung der Energiewende bei, da diese den Umbau des Kraftwerksparks voraussetzt.

Solcher Strom aus Altanlagen trägt kaum zum Klimaschutz bei, fließt aber dennoch in die Klimabilanzen von Unternehmen und Institutionen ein. Nur wenige Gütesiegel zertifizieren Ökostrom so streng, dass sie den Ausbau von Ökokraftwerken vorschreiben und Anreize für eine sinnvolle Integration fluktuierenden Stroms in das Stromsystem geben. Strenge Label, die etwa Vorgaben zur Förderung neuer Anlagen machen, sind aktuell beispielsweise das Grüner Strom Label der Umweltschutzverbände oder das ok-Power Label. Zahlreiche Ökostromprodukte beinhalten jedoch lediglich Ökostrom aus Norwegen – ein reiner Papierhandel mit zweifelhaftem Umweltnutzen, denn zwischen Deutschland und Norwegen gibt es praktisch keine Leitungen, die den Strom in das heimische Stromnetz bringen könnten.

Solcherlei geschönte Klimabilanzen können sogar kontraproduktiv für den Klimaschutz sein. Dies bestätigt auch eine Analyse des Freiburger Öko-Instituts, die auf europäischer Ebene durchgeführt wurde und derzeit im Entwurf vorliegt. Denn die Anrechnung sehr niedriger spezifischer Emissionen für Strombezug aus Erneuerbaren Energien (im Extremfall 0 g CO2/kWh) durch die Klimabilanz kann den Anreiz der Unternehmen mindern, den tatsächlichen eigenen Energieverbrauch durch Einspar- und Effizienzmaßnahmen zu reduzieren. Warum auch sollte ein Unternehmen Strom sparen, wenn es laut eigener Klimabilanz ohnehin CO2-frei ist?

Verstärkt werden diese Unzulänglichkeiten durch unterschiedliche Rechenmodelle in den Klimabilanzen. In Deutschland etwa kann sich ein Unternehmen den Strom aus erneuerbarer Energie, die in alten skandinavischen Wasserkraft-Anlagen produziert wird, anrechnen. In Norwegen hingegen kann es den (niedrigen) Emissionswert des nationalen durchschnittlichen Erzeugungsmixes zugrunde legen. Hauptmotivation gewerblicher und institutioneller Stromverbraucher für den Bezug von Ökostrom ist fast immer, sich niedrige Emissionen in der Klimabilanz anrechnen lassen zu können. In der Unternehmenskommunikation und der Werbung spielen institutionelle Ökobilanzen, aber auch Bilanzen für einzelne Produkte und Dienstleistungen eine wachsende Rolle, indem sie dem Endkunden als „klimafreundliche Option“ dargestellt werden.

Im Rahmen des Greenhouse Gas (GHG) Protocols wurden nun mit den „Scope 2 Guidance“ neue Empfehlungen für die Berücksichtigung von Strom in Klimabilanzen veröffentlicht. Damit liegt ein Regelwerk vor, das auf internationaler Ebene verwendet werden kann. Ein Pluspunkt des Protokolls ist, dass danach künftig auch Kennzahlen wie der absolute Stromverbrauch in den Klimabilanzen dargestellt werden müssen, so dass erkennbar wird, ob das bilanzierte Unternehmen seinen Energieverbrauch über die Jahre hinweg reduziert. Zu den Anforderungen an künftige Klimabilanzen zählt auch, dass sowohl mit einem individuellen Wert (bspw. eines – vermeintlichen – Ökostromprodukts) als auch dem nationalen durchschnittlichen Erzeugungswertes gerechnet werden muss. Dennoch bleibt es den Unternehmen überlassen, sich in ihrer Kommunikation gegenüber Endkunden auf einzelne Ergebnisse zu beschränken, was leicht dazu führen kann, dass Unternehmen ausschließlich für sie attraktive Ergebnisse kommunizieren. Insbesondere fehlt in dem Leitfaden jedoch ein Mechanismus, mit dem guter Ökostrom – also grüner Strom aus Neuanlagen, der mit besonderen Maßnahmen gut in das Versorgungssystem integriert wird – herausgestellt werden kann. Dadurch fehle der Anreiz, sich für ökologisch tatsächlich sinnvollen Ökostrom zu entscheiden, kritisiert EnergieVision e. V. rr


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