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Die Meinung
30. November 2023

Die Notlage als Chance begreifen

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat viel Verunsicherung ins politische System gebracht. Der Weg in eine klimaneutrale Gesellschaft scheint bedroht. Dabei gibt es ausreichend Handlungsmöglichkeiten. Die kurzfristige Erschütterung könnte sogar zu einem langfristig sinnvollen Umsteuern genutzt werden.

Sven Kirrmann ist Senior Referent für Politische Kommunikation beim Ökostromanbieter naturstrom

Sven Kirrmann ist Senior Referent für Politische Kommunikation beim Ökostromanbieter naturstrom
Sven Kirrmann
Foto: privat

Ja, wir sind in einer Krise. Allerdings nicht wegen des Bundesverfassungsgerichtes oder fehlender Mittel in Bundes- und Landeshaushalten. Vielmehr ist die Klimakrise eine so umfassende Bedrohung, dass die aktuellen kurzfristigen Finanzierungsprobleme sich dagegen lächerlich klein ausnehmen. Nicht vergessen: Die 2023 fehlenden Mittel, die jetzt über das erneute Ausrufen einer Notlage über die Schuldenbremse hinaus gesichert werden mussten, sind nämlich schon heute vor allem aus zu wenig Klimaschutz in den vergangenen Jahren entstanden. Einerseits geht es nämlich um die Dämpfung explodierter fossiler Einkaufskosten mittels der Energiepreisbremsen, andererseits um den Wiederaufbau nach der Ahrtal-Katastrophe, die zwar auch ohne globale Erwärmung möglich, aber eben sehr viel weniger wahrscheinlich gewesen wäre. Und mit sich beschleunigenden Temperaturveränderungen und resultierenden Umwälzungen in den Ökosystemen überall auf der Welt drohen enorme neue Kosten zu entstehen.

Das Gute ist aber: Wir können die Gefahr solcher katastrophalen Entwicklungen durch Investitionen in die Klimaschutz-Transformation nicht nur deutlich verringern, sondern zugleich unser Land moderner, sauberer und sicherer machen. Und gut ist ebenfalls: Genauso, wie die vom Bundesverfassungsgericht nun gestärkte Schuldenbremse politisch implementiert wurde (übrigens erst 2009, keinesfalls als eherner Bestandteil unserer Verfassung), so gibt es auch eine Vielzahl an politischen Handlungsoptionen, um damit umzugehen. Eine kleine Übersicht: Die Schuldenbremse könnte auch wieder aus der Verfassung entfernt oder zumindest modifiziert werden, um mehr Investitionen zu ermöglichen. Ist mit der aktuellen Führung der Bundes-CDU eher nicht in Sicht, auch wenn viele Ländervertreter:innen der Union in Regierungsverantwortung durchaus entsprechende Notwendigkeiten sehen. Alternativ könnte auch kontinuierlich eine Notlage ausgerufen und so die Schuldenbremse Jahr für Jahr außer Kraft gesetzt werden. Die Klimakrise als nie dagewesene Menschheitsherausforderung wäre eigentlich ein passender Anlass und Grund, aber dieses Vorgehen würde wohl so auch nicht den strengen Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, ganz davon abgesehen, dass dies politisch nicht gewollt ist und ja auch nicht dem Sinn der Regelung entsprechen würde – dann lieber gleich abschaffen/modifizieren.

Wir müssen also erst einmal mit der Schuldenbremse, auch in der bisherigen Ausgestaltung, leben. Aber auch dann gibt es noch genug Handlungsspielraum: nämlich durch Einsparungen oder neue Einnahmen – oder durch den Abbau von Subventionen, in dem beides verbunden wird. Hier bietet sich der Ampel die Chance, den in vielen Handlungsfeldern wie etwa in der Energie- und Gesellschaftspolitik vollzogenen Aufbruch nun auch finanzpolitisch fortzusetzen und etwa klimaschädliche Subventionen abzubauen. Zugegeben, die Chance ist eine dornige, da niemand gern einmal gewährte Vergünstigungen weggenommen bekommt. Dennoch bietet die Notwendigkeit zu Änderungen nun eben auch die Möglichkeit für einen reinen Tisch. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft hat in einer aktuellen Analyse knapp 24 Milliarden Euro an kurzfristig abbaubaren umweltschädlichen Subventionen identifiziert, die allein auf Bundesebene anfallen – pro Jahr. Zum Vergleich: Der Fehlbetrag im Klima- und Transformationsfonds wird für 2024 mit allen bisher geplanten Vorhaben auf 18 Milliarden Euro beziffert. (Und meist wird bei den geplanten Förderprogrammen ohnehin nicht mal das gesamte Volumen in Anspruch genommen.) Ohnehin fehlleitende Subventionen wie Dieselsteuervergünstigungen oder Kohleunterstützung streichen, dafür in neue, saubere Wertschöpfung in Deutschland investieren – so kann ein erster großer Schritt aus der aktuellen Haushaltsmisere gelingen.

Aber die Situation bietet auch die Gelegenheit zu einem weitergehenden Umsteuern, und zwar beim Thema CO2-Preise: Während der Emissionshandel für Kraftwerke auf europäischer Ebene zu einem wichtigen Lenkungsinstrument geworden ist, ist die komplementäre CO2-Bepreisung von fossilen Brenn- und Kraftstoffen in Deutschland von Anfang an nur sehr halbherzig und auch nur unter massivem Druck der Klimaschutzbewegung eingeführt worden. Obwohl dieses Preissystem eigentlich langfristig Orientierung geben soll, wurde im Rahmen der Energiepreiskrise der Aufwuchspfad direkt aufgeschoben – so entsteht kein Vertrauen in eine wirkliche Umsetzung der Klimaschutzerfordernisse. Die Haushaltsmisere gibt auch hier die Möglichkeit zur Korrektur: Der Preispfad müsste mindestens wieder auf die früheren schwarz-roten Planungen zurückgeführt werden, idealerweise sollten die CO2-Preise sogar noch stärker angehoben bzw. gleich über ein festes Budget gebildet werden, wie es ab 2027 aufgrund europäischer Vorgaben ohnehin kommt. Das würde die Nutzung fossiler Energieträger unattraktiver machen und gleichzeitig mehr Staatseinnahmen generieren – die dann aber unbedingt auch wieder an die Bürger:innen ausgeschüttet werden sollten. Ob über ein pauschales Klimageld oder bedarfsgerecht, wäre zu diskutieren und hängt von den Einnahmen ab. In jedem Fall muss klar werden: Klimaschutz lohnt sich, auch für jede:n einzelne:n!

Fossile Energieträger sind ein Problem, Erneuerbare die Lösung. In der Energiebranche ist dies längst allgemein anerkannt – höchste Zeit, dass wir auch unseren Staatshaushalt auf diese Erkenntnis umstellen. Denn auch wenn das Zielbild klar ist, wird der Systemumbau dahin herausfordernd und braucht viele Investitionen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar enge Grenzen gesteckt, wie der Staat bei diesen Investitionen unterstützen kann – die Regierung(en) können aber auch so adäquat handeln. Und müssen sogar – schließlich hat das Bundesverfassungsgericht die politischen Entscheider:innen nicht nur in Sachen Schuldenbremse auf die Einhaltung der Verfassung verpflichtet, sondern auch bei der intertemporalen Freiheitsbewahrung, welche durch die Klimakrise gefährdet ist.




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