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Nachgefragt
09. November 2020

„Den Neustart der energiepolitischen Erzählung wagen“

Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Menschen vor Ort sie mittragen. Umfragen bestätigen immer wieder, dass die große Mehrheit der Bevölkerung die Energiewende befürwortet. Doch Akzeptanz hat viele Facetten, erklärt Studienleiterin Mara Marthe Kleiner von Agora Energiewende.

Mara Marthe Kleiner ist Politikwissenschaftlerin und Expertin für energiepolitische Grundsatzfragen. Seit 2014 arbeitet sie für Agora Energiewende. Sie war Projektleiterin der Akzeptanzstudie, die im Juli 2020 veröffentlicht wurde.

Mara Marthe Kleiner ist Politikwissenschaftlerin und Expertin für energiepolitische Grundsatzfragen. Seit 2014 arbeitet sie für Agora Energiewende. Sie war Projektleiterin der Akzeptanzstudie, die im Juli 2020 veröffentlicht wurde.
Foto: Agora Energiewende/Detlef Eden

Frau Kleiner, was hat es mit der Akzeptanzstudie von Agora Energiewende auf sich?

Ausgangspunkt war die Feststellung, dass es in der Bevölkerung eine breite Unterstützung für die Energiewende gibt, aber vor Ort mitunter auch heftige Widerstände gegen einzelne Vorhaben. Die Arbeitsgruppe Akzeptanz der Regierungskoalition trat auf der Stelle und hatte sich zuletzt vor allem auf die Diskussion von Mindestabständen fokussiert. Agora Energiewende wollte den Blick weiten und Impulse geben. Das Ergebnis ist eine Metastudie, die wir in Zusammenarbeit mit Local Energy Consulting erstellt haben.

Wie differenzieren Sie die Akzeptanzausprägungen?

Wir haben dafür die Dimensionen ‚Einstellung‘ und ‚Verhalten‘ betrachtet. Die Einstellung kann positiv oder negativ sein, das Verhalten aktiv oder passiv. Die große Mehrheit der Menschen (71 Prozent) befürwortet die Energiewende, verhält sich aber passiv – wir nennen das die schweigende Mehrheit. 11 Prozent unterstützen die Energiewende ganz aktiv. Ein Anteil von 15 Prozent empfindet Ablehnung, bleibt aber passiv. Bei der mit Abstand kleinsten Gruppe – die laute Minderheit – mündet die Ablehnung in aktivem Verhalten. Diese Erkenntnis zeigt uns etwas ganz Wichtiges: Um Akzeptanz zu stärken, darf unsere Kommunikation nicht nur auf die kleine laute Minderheit gerichtet sein, sondern muss gezielt alle Gruppen ansprechen.

Gibt es nennenswerte Unterschiede zwischen Windkraft und Photovoltaik?

Es wird viel mehr über Windkraft gesprochen. Trotzdem sind die Akzeptanzpotentiale von Solar- und Windkraft vergleichbar, wobei die Photovoltaik bei der Zustimmung der Bevölkerung die Nase leicht vorn hat. Aber auch die Windkraft wird mehrheitlich befürwortet, was wahrscheinlich mit Blick auf die „laute Minderheit“ anders wahrgenommen wird. Bei Menschen, die in unmittelbarer Nähe einer Windkraftanlage wohnen, ist die Zustimmung sogar noch höher als die Zustimmung im Allgemeinen. Übrigens sind die Zustimmungswerte für Kohle- oder Atomkraftwerke um ein Vielfaches geringer.

Welches ist die größte Baustelle bei der Akzeptanz der Energiewende vor Ort?

Eine wichtige Erkenntnis der Akzeptanzstudie liegt vor allem darin, dass es nicht die einzelne Drehschraube gibt. Akzeptanz entsteht nur, wenn die verschiedenen Dimensionen, Verhalten und Einstellung, gemeinsam betrachtet werden und Maßnahmen und Kommunikation Hand in Hand gehen. Allein Mindestabstände zu definieren oder eine verpflichtende Beteiligung zu schaffen erzeugt keine Akzeptanz.

Gab es denn so etwas wie eine Schlüsselerkenntnis?

Ein großer Aha-Moment für mich persönlich war die Erkenntnis, welche Welten zwischen der allgemeinen Unterstützung für die Energiewende und der Akzeptanz beziehungsweise Ablehnung einer konkreten Veränderung im persönlichen Umfeld liegen können. Was hat der Bau des Windrades mit der Zukunft meiner Enkel zu tun? Dieser Bezug zwischen allgemeiner und konkreter Zustimmung gelingt oft nicht. Hier müssen viel mehr Aufklärung und Gespräche stattfinden.

Wer sind die Akteure, die nach Ihren Erkenntnissen jetzt liefern müssen?

Vor allem in der Politik auf Bundesebene fehlt der mutige Gestaltungswille. Dort gilt es endlich den grundsätzlichen Dissens zwischen formulierten Zielen und konkreten Maßnahmen aufzulösen. Mitunter verzweifeln kommunale AkteurInnen an den Inkonsistenzen der Energiewende. Ziele und politisches Handeln müssen übereinstimmen. Daher ist ein Neustart der energiepolitischen Erzählung - also immer wieder deutlich zu machen, worum es in der Energiewende geht - ein von uns definiertes Handlungsfeld. Das hört sich einfach an – politisch ist das aber ein hartes Ringen.

In der Studie werden vier weitere Handlungsfelder benannt, ist es dort leichter?

Bei der lokalen Wertschöpfung sind wir auf einem guten Weg. Das Ziel ist: Lokal ist das neue Normal. Auch die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Kommunen steckt nicht mehr in den Kinderschuhen. Dennoch ist hier noch vieles ausbaufähig. In Punkto Transparenz und Vertrauen gibt es noch viel zu tun. Die Menschen sollten verstehen, wie ein Genehmigungsprozess funktioniert, dass das kein Hexenwerk ist und an welchen Punkten sie mitwirken können. Bei der fairen Flächenverteilung wird die Kommunikation wohl am kompliziertesten. Aber auch in diesem Punkt müssen und können wir erfolgreich sein.

Das Interview führte Petra Franke.

Hier finden Sie die Akzeptanzstudie von Agora Energiewende.


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