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Nachgefragt
19. Mai 2021

Grünes Gas werden wir in Zukunft weiter brauchen

Um den Ausstoß von Klimagasen zu senken, muss auch der Einsatz von Erdgas möglichst rasch zurückgefahren werden. Dafür plädiert Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) und zeigt auf, wie dies in der Hansestadt praktisch angegangen wird.

Jens Kerstan, Umweltsenator in Hamburg

Jens Kerstan, Umweltsenator in Hamburg
Jens Kerstan, Umweltsenator in Hamburg
Bildquelle: Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft, Hamburg

Herr Kerstan, Sie haben sich jüngst dafür ausgesprochen, zügig aus dem Erdgas auszusteigen. Wie soll eine solche Ausstiegsstrategie aussehen?

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass wir in den nächsten Jahren mit dem Kohleausstieg in einigen Bereichen die Gasnutzung sogar noch intensivieren werden. Gleichwohl möchte ich darauf hinweisen, dass auch mit der Gasnutzung hohe Emissionen von Klimagasen einhergehen und dass wir zur Erreichung unserer Klimaziele bereits jetzt die Weichen stellen müssen, damit wir langfristig auf klimafreundliche Alternativen umstellen können.

Dass wir im Strombereich den Ausbau der erneuerbaren Energien zügiger voranbringen müssen, ist offensichtlich. Die größten Defizite sehe ich allerdings im Wärmebereich.

Inwiefern?

Hier gibt es Handlungsbedarf vor allem in zwei Bereichen. Zum einen müssen klimafreundliche Alternativen von Gas bei der Wärmeversorgung von Gebäuden stärker genutzt werden. Dafür muss die leitungsgebundene Wärmeversorgung ausgebaut und stärker aus erneuerbaren Quellen und Abwärme gespeist werden. Bei Gebäuden, für die sich kein Wärmenetzanschluss lohnt, sollte bei einem Heizungstausch am besten gleich ein Großteil des Wärmeverbrauchs mit Erneuerbaren Energien, zum Beispiel mit Wärmepumpen, gedeckt werden. Voraussetzung, dass wir damit auch wirklich vom Gas wegkommen, ist, dass die Gebäude noch besser gedämmt werden. Teilweise ist auch grünes Gas eine Option bei der Gebäudewärme. Die Einspeisung dieser klimafreundlichen Erdgas-Alternative haben wir 2020 vervierfacht. Im Klärwerk Köhlbrandhöft fließen heute bis zu 1.350 Kubikmeter Bio-Methan pro Stunde ins Gasnetz. Die eingespeiste Menge entspricht dem Gasverbrauch von 5.700 Haushalten und senkt die Emissionen um 12.000 Tonnen CO2 pro Jahr.

Wie sieht es mit dem industriellen Bedarf aus?

Die Industrie braucht eine saubere Alternative zu Erdgas. Hier kann grüner Wasserstoff einen wesentlichen Beitrag leisten. Einen großen Schritt haben wir hier in Hamburg im Dezember und Januar angekündigt. Mit dem Hamburger Wasserstoff-Industrie-Netz HH-WIN und dem Green Energy Hub im Hafen schaffen wir eine Infrastruktur für grünen Wasserstoff, mit der schon bis 2030 ein gutes Drittel des in Hamburg verbrauchten Erdgases ersetzt werden kann. Das sind rund 570 Mio. Kubikmeter Erdgas pro Jahr.

In welchem Umfang tragen denn Erneuerbare Energien jetzt schon zur Wärmeversorgung in Hamburg bei? Und bis wann ist ein Umstieg realistisch?

Bei der Nutzwärmeversorgung der Gebäude liegt der Anteil Erneuerbaren Energien gegenwärtig bei 3 Prozent. Berücksichtigt man auch den erneuerbaren Anteil in der Fernwärme so kommt man auf 6,5 Prozent. Es ist offensichtlich, dass die Nutzung Erneuerbarer Energien deutlich steigen muss. Der Umstieg erfolgt schrittweise und ist gebäudeindividuell. Es stehen in den Hamburger Heizungskellern noch ca. zwei Heizungstauschzyklen vor dem Jahr 2050, in dem die Wärmewende vollzogen sein soll, an. Bis dahin müssen parallel Gebäudesanierungsmaßnahmen durchgeführt werden, um hohe erneuerbare Energieanteile bei der Wärmeversorgung überhaupt erst ermöglichen zu können. Mit dem Kohleausstieg aus der Fernwärme bis 2030 und der weiteren Einbindung klimaneutraler Wärmequellen in das städtische Wärmenetz bieten wir den Bürgerinnen und Bürgern schon jetzt eine klimafreundliche Wärmeversorgungsoption mit steigenden Anteilen Erneuerbarer Energie im Netz. Dies gilt auch für die weiteren Wärmenetzbetreiber in Hamburg, die laut Hamburger Klimaschutzgesetz verpflichtet sind, uns Ihre Pläne zur Dekarbonisierung der Wärmenetze vorzulegen.

Reicht die beschlossene CO2-Bepreisung als Anreiz aus oder braucht es eine zusätzliche Förderung bzw. finanzielle Anreize? Und wer soll das alles bezahlen?

Die CO2-Bepreisung ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Der Brennstoff- Emissionshandel ist so gestaltet, dass der CO2-Preis in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Um die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger niedrig zu halten, brauchen wir daher auch weiterhin gute Förderprogramme, wie sie zum Teil schon auf Bundes- und Landesebene bestehen.

Was passiert mit dem Erdgasnetz? Wird das abgebaut oder umgenutzt?

Eine Abkehr vom Erdgas bedeutet nicht eine Abkehr vom Gas insgesamt. Grünes Gas werden wir in Zukunft weiter brauchen – wie die oben genannten Projekte zeigen. Unser Wasserstoffnetz HH-WIN kann nach dem Ausbau eines Initialnetzes weitere Trassen integrieren, die zuvor für Erdgas genutzt wurden. Dank dieser bestehenden Infrastruktur können wir die Transformation auch relativ kostengünstig gestalten.

Welches Potenzial hat denn die geplante grüne Wasserstoffproduktion in der Hansestadt? Wird der erneuerbar hergestellte Wasserstoff nicht prioritär für Branchen gebraucht, die zur Dekarbonisierung zwingend darauf angewiesen sind?

Es ist in der Tat so, dass wir den in den nächsten Jahren noch knappen grünen Wasserstoff gezielt einsetzen müssen. Unser Fokus liegt auf der Industrie im Hafengebiet. Hier befinden sich eine größere Anzahl industrieller Verbraucher, sodass wir mit Wasserstofferzeugung und -verbrauch in unmittelbarer Nähe ideale Bedingungen für ein Hamburger Startnetz haben.

Das Interview führte Hans-Christoph Neidlein.


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