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Nachgefragt
05. August 2022

„Unvorstellbarer Mut“

Ob in Lützerath oder dem Norden Kolumbiens, Menschen leiden unter dem Kohleabbau und aggressiven Machenschaften der Kohlekonzerne. Trotzdem stellen sich Menschen dem mutig entgegen. Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger war im Rheinland und Kolumbien vor Ort und berichtet von eskalativem Verhalten und politischer Hoffnung.

Kathrin Henneberger, Bündnis 90/die Grünen, Mitglied des Bundestages und Obfrau im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Kathrin Henneberger, Bündnis 90/die Grünen, Mitglied des Bundestages und Obfrau im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Eine Frau mit roten Haaren vor einem Braunkohletagebau
Bild: CC BY Kathrin Henneberger

Sie waren diese Woche in Lützerath, wo RWE einen Wall um das Dorf herum gebaut hat, in Vorbereitung zur Inanspruchnahme des Ortes für den Kohleabbau. Wie bewerten Sie aktuell die Situation vor Ort?

RWE geht vor wie in der Vergangenheit im Hambi und bei der Zerstörung der Straße L277. Wenn sie das Gefühl haben alle sind im Sommerurlaub und niemand passt so richtig auf, versuchen sie Fakten zu schaffen. Das Ziel des Walls ist es, das Dorf im Sinne RWEs zu umfrieden. Wenn Eckardt Heukamp im August ausziehen sollte, die Betonung liegt auf „wenn“, dann wird RWE versuchen das ganze Gebiet als Betriebsgelände auszuweisen. Menschen, die sich neu im Dorf angesiedelt haben, betrachtet der Energiekonzern als illegal. Jeder der dann den Wall überquert, der begeht in deren Logik Hausfriedensbruch. Damit bereiten sie die Räumung und Zerstörung von Lützerath vor, ohne Verhandlungen abzuwarten. Aus meiner Sicht ein sehr eskalatives Verhalten. Schon mit dem Bau des Walls gingen Sicherheitskräfte RWEs sehr aggressiv gegen Aktivist:innen vor.

Die schwarz-grüne Landesregierung Nordrhein-Westfalens hat angekündigt über die weitere Ausdehnung des Tagebaus Garzweiler II und damit auch der Frage einer Inanspruchnahme von Lützerath Verhandlungen mit RWE zu führen. Zudem hat sich der deutsche Bundestag, auf ihre Initiative hin, mehrheitlich für einen Erhalt von Lützerath ausgesprochen.

Das Wort des deutschen Bundestages sollte Gewicht haben. Ein Konzern sollte nicht einfach unsere Position ignorieren. Wir leben schließlich in einer Demokratie, die davon lebt, dass Politiker:innen alles auf den Prüfstand stellen und weiterentwickeln. Gerade mit Blick auf die Klimakrise ist es wichtig, dass wir nicht am Status Quo festhalten, sondern genau schauen, wie wir sinnvolle Maßnahmen gegen die Klimakrise einleiten und fossile Energien im Boden lassen. Da es in den Verhandlungen um den gesamten Tagebau Garzweiler und eine neue Leitentscheidung geht, werden die Gespräche zwischen der Landesregierung und RWE voraussichtlich länger andauern. Die politisch Verantwortlichen in NRW müssen daher jetzt ein Moratorium für Lützerath aussprechen, damit RWE nicht weiter Fakten schafft und der soziale Friede in der Region nicht gefährdet wird.

Ist der zivilgesellschaftliche Druck groß genug?

Ich weiß nicht was die Zukunft bringt, aber ich sehe schon jetzt, dass sich unglaublich viele Menschen engagieren und die Solidarität für Lützerath unglaublich groß ist. Ich weiß, dass sich noch viel mehr Menschen aufmachen werden für den Ort einzustehen, sollte es zu einer Räumung kommen. Und so eine Räumung bringt niemandem etwas, sie bringt nur traumatisierte und verletzte Menschen hervor.

Auch im Ausland wird für den deutschen Energiehunger Kohle abgebaut. Sie waren zuletzt in Kolumbien, um sich einen Eindruck vor Ort vom dortigen Steinkohleabbau und der Erdölförderung zu verschaffen. Was haben Sie dort erlebt?

Die großen Steinkohletagebaue im Norden Kolumbiens arbeiten mit Sprengungen, durch die das Gestein so gelockert wird, dass Kohle gefördert werden kann. Die Menschen in der Region leiden enorm unter der Feinstaubbelastung. Staublunge und Asthma sind weitverbreitet, schon bei Kindern. Auch das Wasser ist stark verunreinigt. Der Zugang zu sauberem Wasser wird für die Menschen immer schwieriger. Darunter leidet auch die Landwirtschaft. Viele Menschen in der Umgebung der Tagebaue sind aufgrund dieser Probleme verarmt. Andere leben von der Arbeit im Tagebau. Die Frage ist aber wie lange noch und was mit Ihnen danach passiert. Ein Konzern etwa will seinen Tagebau schließen und die Menschen entlassen. Denen fehlt bislang jegliche soziale Absicherung. Über einen richtigen Strukturwandel und örtliche Folgen für Mensch und Umwelt wurde sich in der Vergangenheit in Kolumbien viel zu wenig Gedanken gemacht. Hier ist Deutschland als Importland kolumbianischer Steinkohle in der Verantwortung eine bessere Entwicklungszusammenarbeit zu leisten. Das ist auch der Wunsch der neuen Regierung unter dem linken Präsidenten Gustavo Petro, die am 07. August vereidigt wird.

Zuvor regierte der rechtskonservative Iván Duque. War zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen die Tagebaue bislang möglich?

Menschen, die sich engagieren, waren in der Vergangenheit massiver Gewalt ausgesetzt. Sie wurden von bewaffneten Gruppen, ja sogar paramilitärischen Einheiten bedroht. Im Auftrag der Kohlekonzerne und unterstützt durch die bisherigen politischen Verantwortlichen. Mich hat es sehr beeindruckt, dass sich viele Menschen vor Ort trotz der Repressalien weiter für ihre Rechte eingesetzt haben. Dafür ist unvorstellbarer Mut nötig. Ich bin aber guter Hoffnung, dass mit der neuen Regierung vieles anders wird. Ich habe mit Vertreter:innen der neuen Regierung gesprochen und die haben etwa versprochen künftig Polizisten zum Schutz der Bevölkerung in die Regionen zu entsenden. In der Vergangenheit kam die Polizei oft, um die Bevölkerung zu drangsalieren und etwa zu Umsiedlungen zu zwingen. Die neue Regierung spricht sich auch gegen die Vergabe neuer Lizenzen für Steinkohletagebaue aus und will bestehende Lizenzen auf ihre Auswirkungen für die Umwelt überprüfen.

Nun scheint in der Bundesregierung Einigkeit zu bestehen, dass für Energiesicherheit in Deutschland vorübergehend mehr Kohle, insbesondere Steinkohle, verfeuert werden soll, die unter anderem aus Kolumbien kommt.

Wir dürfen jetzt nicht weiter die Fehler machen Kohle zu importieren, ohne zu schauen, was dies für Auswirkungen für die Umwelt und Menschen vor Ort hat. Das ist in der Vergangenheit beim Import von Steinkohle aus Kolumbien geschehen, ebenso wie aus Südafrika, Indonesien und Russland. Im Entschließungsantrag des Bundestages über die Bereithaltung von Ersatzkraftwerken haben wir reingeschrieben, dass Menschenrechte und Umweltstandards in den Abbauregionen eingehalten werden müssen und sich die Bundesregierung um einen Strukturwandel und Renaturierungsmaßnahmen nach dem Ende des Kohleabbaus kümmern muss. Dafür werde ich mich weiter einsetzen und Schritte erarbeiten, wie wir uns dieser Verantwortung stellen können und den Menschen in Nordkolumbien und der kolumbianischen Regierung helfen, den Kohleausstieg umzusetzen. Denn klar ist, wenn wir kurzfristig mehr Kohle in Deutschland verfeuern sollten, muss der Kohleausstieg umso schneller und radikaler erfolgen, damit wir am Ende nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre pusten.

Bei der Debatte um Energiesicherheit bröckelt bei vielen Grünen auch zunehmend der Widerstand gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Wie ist ihr Standpunkt?

Ich bin komplett genervt von dieser Debatte. Wir sollten alle froh sein, wenn wir Ende des Jahres aus dieser Hochrisikotechnologie aussteigen. Es wird wiederholt so getan, als wären die Kernkraftwerke sicher. Nein, das sind sie nicht. Das, was man irgendwie noch aus diesen Brennstäben rausquetschen will, kann man auch durch Energieeinsparungen erreichen.

Das Interview führte Manuel Först    


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