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Nachgefragt
02. März 2022

Wir brauchen einen Energieunabhängigkeitsfonds

Angesichts der Ukraine-Krise muss der Europäische Grüne Deal neu bewertet werden, fordert der EU-Parlamentarier Michael Bloss. Was jetzt wichtig ist und wie er zu LNG-Terminals in Deutschland steht, erläutert er im Interview.

Michael Bloss, Abgeordneter der Grünen/EFA im Europäischen Parlament

Michael Bloss, Abgeordneter der Grünen/EFA im Europäischen Parlament
Ein Mann in weißem T-Shirt und verschränken Armen
Bild: Patrick Haermeyer

Diese Woche hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Live-Stream zum Europäischen Parlament gesprochen. Wie haben Sie die Rede erlebt?

Das war eine sehr ernste Angelegenheit. Wir sind alle extrem geschockt davon, was gerade in der Ukraine passiert. Es gibt eine riesengroße Solidarität und Geschlossenheit mit der Ukraine hier im EU-Parlament – von der Linkspartei bis zu den Wertkonservativen von der ECR. Und es gibt eine große Entschlossenheit zu handeln. Diese Energie muss nun in die richtige Richtung kanalisiert werden.

Zuvor hatte die ukrainische Führung bereits einen Beitrittsgesuch zur Aufnahme in die Europäische Union unterzeichnet. Befürworten Sie das und wie realistisch ist eine baldige Aufnahme?

Ich befürworte den Beitritt und finde wir müssen jetzt Druck machen, diesen Prozess zu beschleunigen. Die Tür für die Ukraine ist weit offen. Jetzt ist das zentrale, dass die Ukraine und die ukrainische Regierung in den kommenden Wochen noch existiert. Dafür müssen wir jetzt das richtige tun.

Auch Selenskyi hat in seiner Rede vor dem EU-Parlament nicht mehr von einem sofortigen Beitritt gesprochen. Man kann natürlich nicht von einem auf den anderen Tag Mitglied der Europäischen Union werden. Es braucht immense Harmonisierungsprozesse, beispielsweise bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit, die elementar wichtig sind für europäische Werte.

Unterstützten sie Waffenlieferungen der EU und seiner Mitgliedsländer in die Ukraine?

Ich musste da sehr mit mir ringen. Aber ich denke in dieser Situation ist es eine Frage der praktischen Solidarität, in der man der Ukraine die Möglichkeit geben muss, sich zu verteidigen. Deswegen unterstütze ich in dieser Situation Waffenlieferungen an die Ukraine.

Für die Grünen im Europaparlament sind sie entscheidend an den Verhandlungen für die europäischen Klimaziele beteiligt. Wird die europäische Energiewende angesichts der Ukraine-Krise noch einmal Fahrt aufnehmen?

Wir brauchen jetzt den Turbo für die Energiewende. Für einen lebenswerten Planeten geht es weiterhin darum, so schnell wie möglich klimaneutral zu werden. Aber in der jetzigen Situation geht es auch darum, dass sich die EU nicht mehr von Wladimir Putin erpressen lassen darf. Ein Putin, der die Gaspreise nach oben treibt und so versucht die gemeinsame Front der EU zu brechen. Die Konsequenz daraus muss sein, so schnell wie möglich auszusteigen aus Gas, Öl und Kohle, das in immensen Mengen aus Russland importiert wird.

Wir müssen jetzt in eine Art Kriegswirtschaft eintreten, wo der Ausbau der Erneuerbaren Energien, das Renovieren von Häusern, der Einbau von Wärmepumpen staatlich priorisiert wird. Bis kommenden Winter müssen wir die Abhängigkeit von Russland schon signifikant reduziert haben. In Europa können im Jahr vier Millionen Wärmepumpen produziert und 1,5 Millionen Solaranlagen auf Dächern installiert werden. So etwas muss jetzt gelingen.

Wie kann das gelingen?

Die Implementierung von Gesetzen und Genehmigungsverfahren etwa muss beschleunigt werden. In diesem Zuge müssen die ganzen Maßnahmen für den europäischen Green Deal und auch der Deal selbst neu bewertet und so schnell wie möglich ausgeweitet werden. Wir brauchen jetzt einen milliardenschweren Wideraufbaufonds, einen Energieunabhängigkeitsfonds, der uns schnell voranbringt in Sachen Klimaschutz und Energieunabhängigkeit.

Um unabhängig von russischem Erdgas zu werden, fordern führende Grüne wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zudem den Bau und staatliche Förderung von LNG-Terminals in Deutschland.

Wenn wir auf den nächsten Winter schauen, werden uns diese Terminals nicht helfen, da deren Bau mehrere Jahre dauert. Aktuell gibt es in Europa genügend Anlandungskapazitäten für Flüssiggas. Jetzt muss eine entsprechende Notsituation in der EU aktiviert werden, die regelt, dass alle europäischen Mitgliedsstaaten genügend Gas bekommen und ihre Speicher für den kommenden Winter auffüllen können.

Sind sie denn auch grundsätzlich gegen den Bau von LNG-Terminals in Deutschland?

Die Kapazitäten zur Anlandung von LNG sind in Europa bereits vorhanden und sie müssen jetzt, vor allem im Hinblick auf den kommenden Winter, richtig genutzt werden. Für die kommenden Jahre gilt es, Europa so schnell wie möglich unabhängig von Gas zu machen, mit Erneuerbaren Energien aus der EU.

Die Gas-Pipeline Nord Stream 2 scheint ohnehin Geschichte zu sein. Der Betreiber, die Nord Stream 2 AG, ist insolvent. Ist damit auch die Gefahr milliardenschwerer Schiedsgerichtsklagen auf Grundlage des Energiecharta Vertrages gebannt?

Ich denke, dass eine Schiedsgerichtsklage dennoch im Raum steht. Auch ein Insolvenzverwalter könnte es als Rettungsanker sehen, über so eine Klage noch Geld reinzuholen, nachdem die Bundesregierung den Zertifizierungsprozess und Inbetriebnahme der Pipeline gestoppt hatte. Klar ist, alle die gesagt haben, dass wirtschaftliche Verflechtungen mit Putin wichtig seien, wurden jetzt eines Besseren belehrt. Für mich war das neben der Klimafrage eine Frage der europäischen Solidarität. Diese Pipeline hätte Staaten wie Polen und die Ukraine geschwächt.

Wird denn vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise auch der Energiecharta-Vertrag noch einmal neu betrachtet werden in der EU?

Das ist zu hoffen. Es stehen ja weitere Sanktionsmöglichkeiten der EU im Raum. Wir müssen einen russischen Öl-Boykott in Erwägung ziehen. Auch der würde Russland hart treffen. Dafür müssten die Verträge mit Russland gestoppt werden, was ebenfalls Schiedsgerichtsklagen nach sich ziehen könnte. Man sieht einmal mehr, dass der Energiecharta-Vertrag uns in ein Korsett reinzwängt, dass in diese Welt einfach nicht mehr passt.

Wie sieht es bei der Debatte um die EU-Taxonomie aus, wonach neben Gas auch Atomkraft als nachhaltige Investition gelten soll? Der Krieg in der Ukraine, wo insgesamt 15 Atomreaktoren stehen, führt schließlich einmal mehr vor Augen, wie gefährdet Atomkraftwerke durch äußere Einflüsse sind.

Zudem beziehen wir in Europa Uran aus Russland. Also alle die sagen, die Atomkraft würde uns Souveränität und Unabhängigkeit geben, denen müssen wir sagen, nein das stimmt nicht. Denn auch bei dieser Energieform sind wir auf Russland angewiesen. Ich denke die Debatte um die EU-Taxonomie wird noch einmal Fahrt aufnehmen. Jedem muss klar sein, dass wir die Gelder jetzt noch deutlich stärker in Richtung Erneuerbare kanalisieren müssen, um unabhängig zu werden.

Das Interview führte Manuel Först 


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