Menü öffnen

Novelle des StVGNeue Freiheiten für die kommunale Verkehrswende in Sicht


Eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes sieht für Kommunen mehr Freiheiten in ihrer Verkehrspolitik vor. Von Verkehrswende-Aktivisten gibt es teils positive Reaktionen. In Berlin jedoch macht schwarz-rot gerade eine Rolle rückwärts.

19.06.2023 – Von Verkehrswende-Aktivist:innen wird sie seit langem angemahnt: eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und der Straßenverkehrsordnung (StVO). Die StVG ist dabei die Grundlage allen Rechts, den Verkehr in Deutschland betreffend. Die StVO, die die Regeln sämtlicher Teilnehmer:innen am Verkehr festlegt, baut auf dem StVG auf. Dass die Ampel-Regierung, die Regeln und Gesetze im Verkehr überarbeiten will, steht im Koalitionsvertrag. Zuletzt wurde im Koalitionsausschuss Ende März noch einmal bekräftigt, „dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden.“

Letzte Woche gelangte schließlich ein lang erwarteter Referentenentwurf an die Öffentlichkeit, der genau diesen Passus als neue zentrale Leitplanke einer neuen Straßenverkehrsordnung vorsieht. Denn bislang gilt, dass die Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs jederzeit Vorrang haben muss. Die Leichtigkeit bezieht sich dabei vorrangig auf einen flüssigen motorisierten Individualverkehr. Neue Radverkehrsinfrastrukturen oder Fußgängerzonen können oftmals nur angelegt werden, wenn eine deutliche Gefahrenlage durch Autos nachgewiesen wurde, etwa wenn es häufige Unfälle gab. Viele Versuche ökologischer Verkehrsversuche landauf landab scheiterten, weil Straßenverkehrsbehörden oder Klagen dem ökologischen Umbau des öffentlichen Verkehrsraums einen Strich durch die Rechnung machten.

Der Referentenentwurf für ein neues StVG aus dem Bundesverkehrsministerium könnte den Kommunen nun helfen, die Verkehrswende ohne solche Störungen voranzutreiben. Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende, kommentierte: „Hunderte Städte und Gemeinden in ganz Deutschland warten auf diesen Modernisierungsschub. Sie bekommen damit mehr Entscheidungsfreiheit und Handlungsspielräume, um zum Beispiel leichter Busspuren und Radwege einzurichten, das Parken im öffentlichen Raum in geregeltere Bahnen zu lenken oder den Straßenverkehr für alle sicherer zu machen.“

Der vorgelegte Entwurf könnte am Mittwoch vom Bundeskabinett bestätigt werden, bevor es den parlamentarischen Institutionen vorgelegt wird. Rebecca Peters, Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), sagte: „Wenn Bundestag und Bundesrat zustimmen, können Kommunen in Zukunft viel leichter verkehrsberuhigte Quartiere einrichten, Fahrradstraßen und Zebrastreifen anlegen und Lücken im Radwegenetz schließen. Das bringt mehr Lebensqualität für alle, in der Stadt und auf dem Land.“ Zugleich verwies Peters auf nötige Verbesserungen. So sei etwa noch nicht eindeutig geregelt, dass verkehrsberuhigte Quartiere auch ohne Verkehrszählungen und Unfallstatistiken allein zur Verbesserung der Lebensqualität und der Fahrrad- und Fußgängerfreundlichkeit angeordnet werden können.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) vermisst darüber hinaus klare Festschreibungen für einen sicheren Verkehr, wie etwa Tempo 30 für Autofahrer:innen. „Wir brauchen auch für die kostendeckende und den ÖPNV mitfinanzierende Parkraumbewirtschaftung mehr Rechte für die Stadt. Und auch die Umwidmung von Straßenflächen in geschützte Radwege und Busspuren muss bereits im Straßenverkehrsgesetz geregelt werden“, so Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH. Die DUH kritisiert zudem, dass das StVG keine gesetzliche Grundlage für eine soziale Staffelung der Parkgebühren enthält. Schwierig könnte es auch werden ein fertiges StVG in neue Regeln der StVO zu überführen. Dazu bedarf es Beratungen mit den Bundesländern, die sich in die Länge ziehen könnten.

Berlins Rolle rückwärts

Sollte sich eine Reform des StVG in der StVO wiederfinden, könnte es für viele Kommunen zumindest einfacher werden Tempo 30 Zonen einzurichten und dem Autoverkehr Platz für Radverkehrsinfrastrukturen wegzunehmen. Verfahren, die in Berlin unter der Regierung aus SPD. Grüne und Linke angegangen wurden. Davon zeugen Pop-Up-Radwege und Fahrradstraßen in der ganzen Stadt, auch wenn in der letzten Legislaturperiode weiterhin Kritik am Vorgehen geübt wurde.

Doch mit dem Start der neuen schwarz-roten Regierungen von CDU und SPD warnten bereits viele vor Rückschritten bei der Verkehrswende. Laut Koalitionsvertrag solle Auf Hauptstraßen grundsätzlich weiter Tempo 50 herrschen, Tempo 30 auf Nebenstraßen „dort, wo es sinnvoll ist“. Der bisherige Verkehrssenat unter grüner Führung sah auch Tempo 30 auf Hauptstraßen als probates Mittel. Ein weiterer Passus im Koalitionsvertrag: Man wolle „das Mobilitätsgesetz im Sinne einer angebotsorientierten Mobilität weiterentwickeln.“ Und es werde eine Überprüfung von „Mindestbreiten, beispielsweise im Radverkehrsplan“, geben.

Am vergangenen Donnerstag dann die erste von einer Reihe befürchteter Maßnahmen. In einem Rundschreiben an die Bezirke erklärte die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner, dass alle Radwegprojekte vorerst gestoppt werden, die auch nur einen Autostellplatz oder eine Fahrspur gefährden. Tempo 30 dürfe es weder auf langen Strecken noch zum Lückenschluss geben. Lediglich besondere Anträge von Kindergärten und Schulen dürften weiter geprüft werden. Der Berliner Landesverband des ADFC sieht in dem Vorgehen einen Bruch des Koalitionsversprechens, der zumindest ein gleichberechtigtes Miteinander der verschiedenen Verkehrsträger- und -teilnehmer vorsieht. Doch statt einem Miteinander werde einseitig der Radverkehr benachteiligt. „Ein einziges stehendes Auto ist anscheinenden mehr wert als der Schutz von Fahrradfahrenden.“

Ragnhild Sørensen vom Bündnis Changing Cities sagte: „Die neue Senatorin entpuppt sich als Autoverkehrssenatorin, die zwar „Miteinander“ propagiert, während ihr Herz aber eindeutig für die autogerechte Stadt schlägt.“ Changing Cities ging aus dem Volksentscheid Fahrrad hervor, die schon in einem ersten Schritt für ein Volksbegehren über 100.000 Unterschriften sammelten – nötig wären 20.000 gewesen. Daher nahm sich der damalige rot-rot-grüne Senat den Forderungen an und präsentierte 2018 ein neues Mobilitätsgesetz. An allen Hauptverkehrsstraßen sollen demnach geschützte Radwege entstehen und bis 2030 ein Netz von 3.000 Kilometern, auf dem sicheres Fahrradfahren möglich seien soll. Diese Ziele sind nun in noch weitere Ferne gerückt. mg


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft