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Atommüll – rund um den Globus

Die Menge an hochradioaktivem Müll aus Reaktoren zur Energieerzeugung wird nach Einschätzung der IEA bis zum Jahr 2040 weltweit auf über 700.000 Tonnen steigen – eine gewaltige Menge. In fast allen Ländern ist der Widerstand gegen die Endlager sehr hoch – und eine Lösung nicht in Sicht. Ausnahmen bilden Schweden und Finnland: Hier gibt es kaum Proteste, ganz im Gegenteil.

17.07.2015 – Vergessen und still ragt die Betonkuppel aus dem blütenweißen Sand. Kletterpflanzen kämpfen auf Betonplatten um einen Platz an der reichlich vorhandenen Sonne, ein blaues Firmament biegt sich über der kleinen Pazifikinsel. Seevögel kreisen im Himmel. Im Meer, das Runit Island sanft umspült, wimmelt es von Fischen. Was nicht ersichtlich ist: Die Kuppel ist mit radioaktivem Plutonium-Schutt gefüllt.

Den Beton-Dom haben US-Amerikaner 1979 gebaut, er sollte ein Grab für die Ewigkeit sein und die radioaktiven Substanzen, Überbleibsel von Atombombentests aus Zeiten des Kalten Krieges, für immer sicher verschließen. Was die Erbauer der Kuppel nicht bedacht haben, ist: der Klimawandel. Der Meeresspiegel wird nach und nach ansteigen, und nur wenige Meter Sand und ein paar krautige kleine Büsche trennen den Betonsarg von Meer. Der Wassersaum rückt näher und reißt kleine, salzige Furchen in den Beton, die sich nach und nach zu Rissen vergrößern werden. Taifune sind ebenfalls eine Gefahr. Runit Island ist bis heute Sperrzone, Plutonium hat eine Halbwertszeit von bis zu 24.000 Jahren. Die südlichen und westlichen Inseln des Atolls namens Eniwetok im Pazifik, Teil der Marshall-Inseln, wurden von den USA für bewohnbar erklärt. Menschen sind dorthin zurückgekehrt.

700.000 Tonnen hochradioaktiver Müll bis 2040

Das Beispiel zeigt, wie schwer es ist, gefährliche Substanzen über Tausende von Jahren sicher wegzuschließen und dabei jede mögliche Veränderung im Blick zu haben. Unzählige kommende Generationen vor dem Atommüll zu schützen, den wir tagtäglich in die Welt setzen – wem gelingt das? Bomben sind eine Quelle für radioaktive Strahlung, doch die vielen Kernkraftwerke zur Energieherstellung stellen ungleich mehr Atommüll her. Aufgrund ihrer zunehmenden Altersschwäche müssen nach Angaben der Internationalen Energieagentur IEA bis zum Jahr 2040 weltweit 200 Atomkraftwerke abgeschaltet und zurückgebaut werden – knapp die Hälfte aller laufenden AKW.  Die Menge an hochradioaktivem Müll aus Reaktoren zur Energieerzeugung wird sich nach Einschätzung der IEA bis zum Jahr 2040 weltweit auf über 700.000 Tonnen verdoppeln – eine gewaltige Menge.

Besonders viele und alte Atomkraftwerke befinden sich in den USA: 100 Anlagen sind dort laut IEA aktuell am Netz – und da das Land früh auf die Kernenergie gesetzt hat, sind viele von ihnen stark in die Jahre gekommen. Das Durchschnittsalter der Meiler liegt hier bei 34 Jahren. In Europa liegt der Schnitt mit rund 30 Jahren allerdings nur wenig niedriger. Laut einer Greenpeace-Studie befanden sich in allen Ländern des Kontinents, Russland ausgenommen, im Januar 2014 genau 151 Reaktoren in Betrieb. Sieben von ihnen waren bei Verfassen der Studie sogar älter als 40 Jahre, 25 älter als 35 Jahre und 66 älter als 30 Jahre.

Kaum Widerstand in Finnland und Schweden

Die verschiedenen Nationen reagieren sehr unterschiedlich auf das Thema Atommüll. In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten vehemente Proteste gegen die Kernenergie – und praktisch niemand möchte den anfallenden radioaktiven Müll in seiner Nähe gelagert sehen. Demonstrationen, Menschen die sich an Bahnschienen ketten, um gegen Castortransporte zu demonstrieren, aber auch die Gründungen zahlreicher Umweltschutzorganisationen und der politischen Partei Bündnis 90/ Die Grünen sind eng mit diesem Widerstand verknüpft. Die massive Ablehnung der Atomkraft sorgte nicht zuletzt mit dafür, dass hierzulande die Energiewende eingeleitet wurde. Nach Fukushima musste die deutsche Regierung in Berlin aufgrund des Drucks endgültig dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung nachgeben und bewilligte den Atomausstieg. Die Suche nach einem Endlager wird ebenfalls von intensiven Protesten und Diskussionen begleitet – bis heute.

Anders in Finnland. Es hat als erstes Land den Bau eines Endlagers beschlossen. Auf der Insel Olkiluoto befindet sich bereits ein Endlager für schwach- bis mittelstark radioaktiven Müll. Als die Regierung ankündigte, prüfen zu wollen, ob und wie auch hochradioaktives Material auf der Insel gelagert werden könnte, blieben die Proteste aus. Der zuständige Gemeinderat stimmte sogar mit großer Mehrheit für das Projekt. Ähnlich ruhig gehen die Schweden mit dem Thema um. Widerstand gegen Atommüll gibt es kaum. Die Arbeiten zur Endlagerung von hochaktiven Abfällen werden in enger Kooperation mit den Finnen durchgeführt, da durch das Gestein Granit, das in beiden Ländern genutzt wird, vergleichbare Endlager und Behälterkonzepte entwickelt werden. Im März 2011 wurde bei den Aufsichtsbehörden ein Endlager am schwedischen Standort Forsmark beantragt. Nach den Plänen des AKW-Betreibers soll die Errichtung 2020 beginnen und das Endlager 2030 betriebsbereit sein. In Schweden sind, wie in Finnland, die Betreiber der Kernkraftwerke für die Entsorgung und Endlagerung verantwortlich. Sie haben hierfür die gemeinsame Gesellschaft SKB (Svensk Kärnbränslehantering AB) gegründet, die zugleich für Transporte und Zwischenlagerung zuständig ist. Die Gemeinde Oskarshamn wurde sogar finanziell entschädigt, weil sie zwar in die engere Auswahl kam, aber am Ende doch nicht Endlager wurde. Die Bevölkerung erhofft sich von den Atommülllagern Arbeitsplätze.

Nachbarn über Frankreich beunruhigt

In Frankreich hingegen gibt es erhebliche Proteste gegen Endlager, und zwar bereits seit den 70er Jahren. Landwirten fürchten beispielsweise um die Absatzmöglichkeiten ihrer Produkte, falls in ihrer Nähe ein Endlager errichtet wird. 1990 stoppte die Regierung deswegen die Standortsuche und beauftragte eine Kommission, Lösungen zu finden. Inzwischen scheint die Entscheidung für ein Atommüll-Endlager gefallen zu sein. Die Wahl fiel auf Bure in Lothringen, nahe der deutschen Grenze. Die zuständige französische Behörde, Andra, hat den Auftrag erhalten, spätestens 2017 ein Genehmigungsverfahren einzuleiten, um in die industrielle Pilotphase einzusteigen. Hier soll auch hochradioaktives Material eingelagert werden. Bure hat 90 Einwohner, kaum Arbeitsplätze oder junge Leute, ein vergessener Tupfen Landkarte. Die Wirtschaft ist in der Region schwach, die Menschen haben deswegen weniger Elan, sich zu wehren. Andere Standorte, die in die engere Auswahl fielen, haben sich erfolgreich gewehrt. Bure liegt 120 Kilometer von Saarbrücken entfernt, zwischen Straßburg, Nancy und der Champagne. Die „Anrainer“ Rheinland-Pfalz, Luxemburg und das Saarland zeigen sich alles andere als erfreut über die Pläne.

Und Großbritannien? Bereits in den 1980er Jahren schlug die Nirex (Nuclear Industry Radioactive Waste Executive), die 1982 von der britischen Regierung gegründet wurde, verschiedene Standorte für Endlager für hochradioaktive Abfälle vor, die durch Widerstände in der Bevölkerung aufgegeben wurden. Ein weiterer Versuch zur Etablierung eines Endlagers für mittelradioaktive Abfälle in den 90er Jahren missglückte ebenfalls aufgrund der Ablehnung. Im Anschluss wurde ein Konzept erarbeitet, das auf Freiwilligkeit und Akzeptanz der Bevölkerung vor Ort basieren sollte – und 2013 ebenfalls scheiterte. Nachdem das Prinzip der Freiwilligkeit in Großbritannien nicht funktionierte, wird aktuell eine Gesetzesergänzung geprüft, die es dem britischen Secretary of State ermöglicht, die Entscheidungen, die die Endlagerung radioaktiver Abfälle betreffen, ohne Abstimmung etwa mit Gemeinderäten zu treffen. Auch auf der Insel ist das Thema Atommüll nicht beliebt.

US-Bundesgericht fordert die Eine-Million-Jahre-Garantie

Auch die USA tun sich schwer mit der Suche nach einem Endlager.  Seit 1978 wurde die Endlagerung im abgelegenen Yucca-Gebirge im Wüstenstaat Nevada geprüft. Für die dortige Einlagerung hatte man zunächst 2011 anvisiert. Doch das Bundesgericht rügte die Sicherheitsgarantie von 10.000 Jahren als zu kurz und forderte einen Nachweis für eine Million Jahre. Daraufhin stoppte US-Präsident Barack Obama das Projekt und beauftragte einen Ausschuss, Alternativen zu prüfen. Der atomare Müll wird derzeit an Dutzenden Standorten im ganzen Land zwischengelagert. Der vom steigenden Meeresspiegel bedrohte Beton-Dom auf Runit Island erinnert daran: Eine solche Garantie ist durchaus sinnvoll. Möglich ist sie wohl nicht. Rebecca Raspe


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