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PolenKonflikt um Tagebau Turów spitzt sich zu

Ein Mann auf einem Kohlebagger im Tagebau Turów mit einem Plakat in der Hand.
„Wasser ist mehr als Kohle“ steht auf tschechisch auf dem Banner, dass ein Aktivist von Greenpeace im Tagebau Turów in der Hand hält. (Bild: Max Zieliński, Greenpeace Polska auf flickr, CC BY-ND 2.0)              

Polen widersetzt sich dem gerichtlich angeordneten Abbaustopp von Braunkohle in Turów. Tschechien hält die Klage gegen den Tagebau aufrecht. Nun könnte Polen Zwangsgelder auferlegt bekommen, die den Staat schon einmal zum Einlenken bewegten.

27.05.2021 – Für Klima- und Umweltschützer war es vergangenen Freitag eine freudige Nachricht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ordnete per einstweiliger Verfügung einen sofortigen Stopp des Braunkohleabbaus im polnischen Turów an. Die polnischen Behörden müssen demnach den Tagebau stoppen, bis das EuGH ein Urteil bezüglich der Klage Tschechiens gegen den Braunkohletagebau auf polnischem Gebiet gefällt hat.

Tschechien hatte im Februar Klage vor dem EuGH gegen Polen und deren Genehmigung für den Weiterbetrieb des Tagebaus bis 2026 eingereicht. Der Tagebau grenzt an die tschechische Region Liberec. Dortige Untersuchungen hatten ergeben, dass die für den Tagebau nötige Absenkung des Grundwasserspiegels zu Verlust von Trinkwasser in Liberec führt. Auch die Luftverschmutzung ist in der Grenzregion ein Problem.

Eine nach EU-Recht erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung in Zusammenarbeit mit betroffenen Nachbarstaaten, sei laut tschechischer Anklage nicht vorhanden. Für den EuGH waren die Argumente stichhaltig genug, den sofortigen Stopp zum Schutz der Umwelt zu veranlassen, bis ein finales Urteil gefällt wird.

Polen widersetzt sich

Doch Polen widersetzte sich am Montag der Anordnung. Mit einem Stopp des Tagebaus sei die Energieversorgung des Landes gefährdet und es würden Massenentlassungen drohen, so die polnische Regierung. Das Kraftwerk Turów, in dem die Braunkohle aus dem Tagebau verstromt wird, sei für sieben Prozent der polnischen Energieversorgung verantwortlich. Doch der EuGH hatte in seiner einstweiligen Verfügung gegen den Tagebau derlei Einwände bereits berücksichtigt und kam zu dem Schluss, dass es keine Belege für einen Engpass gebe. Die Betreiber könnten den Ausfall ausgleichen.

Polen hingegen kündigte Gespräche mit der EU und Tschechien an, um nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, die den legalen Weiterbetrieb des Tagebaus in Turów ermöglichen. Tschechien erklärte daraufhin, dass man die Klage nicht zurückziehe, aber offen für weitere Verhandlungen sei. Dafür aber müsste Polen den gerichtlich verfügten Abbaustopp erst einmal akzeptieren, hieß es aus dem tschechischen Umweltministerium.

Für Anna Cavazzini, sächsische Europaabgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament, ist das Vorgehen Polens „besorgniserregend“. Eine EuGH-Entscheidung sei keine Empfehlung, sondern rechtlich bindend. Zumindest sei die polnische Regierung jetzt endlich dazu bereit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. „Klar ist: Polen wird sich nicht einfach freikaufen dürfen, sondern muss konkrete Verbesserungen bei den Umweltauswirkungen erzielen“, sagte Cavazzini.

Auch Deutschland müsse mit an den Verhandlungstisch, so Cavazzini weiter. Der Braunkohletagebau grenzt ebenso an die deutsche Stadt Zittau. Eine Analyse belegt, dass die Stadt innerhalb eines sogenannten Senktrichters des Tagebaus liegt, wodurch sich der Boden in der Umgebung absenkt. Mehr als einen halben Meter könnte sich der Boden in Zittau bis 2044 absenken. Und der Boden hat sich bereits abgesenkt, was zu Schäden an mehreren Gebäuden führte. Deutschland könnte Tschechien als Streithelfer vor dem Europäischen Gerichtshof unterstützen.

Zwangsgeld als nächstes Mittel?

Sollte Polen derweil bei seinem Standpunkt bleiben den Tagebau fortzuführen, könnte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Doch dies würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Naheliegender und effektiver für Tschechien wäre die Beantragung einer weiteren Anordnung, mit der Polen ein Zwangsgeld auferlegt wird, welches für jeden Tag zu zahlen wäre, an dem der Tagebau weiterläuft.

Dieser Weg war bereits beim Rodungsstopp im Bialowieza-Nationalpark erfolgreich. Polen hatte in dem geschützten Gebiet trotz Anordnung des Europäischen Gerichtshofs für einen Rodungsstopp weiter Bäume gefällt, woraufhin der EuGH Strafzahlungen von täglich 100.000 Euro verhängte. Die polnische Regierung stoppte daraufhin die Rodungen in dem Nationalpark. Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen hatten sich zuvor für einen Rodungsstopp eingesetzt.

Auch bei der Kohle stellt sich die Mehrheit der polnischen Bevölkerung inzwischen hinter einen baldigen Ausstieg. Laut einer Umfrage der Zeitung Gazeta Prawna gaben mehr als zwei Drittel der Befragten an, gern mehr Geld für Strom zu bezahlen, wenn bald mit der Kohle Schluss sei. Anna Meres von Greenpeace in Polen verweist auf eine Umfrage, wonach 78 Prozent der polnischen Bevölkerung inzwischen einen Kohleausstieg bis 2030 befürwortet.

Meres verweist auf Anfrage der energiezukunft auch auf die nach wie vor fehlenden Zukunftspläne der polnischen Regierung für eine nachhaltige Transformation des Energiesystems. „Die Situation in Turów legt die gesamte Sinnlosigkeit der polnischen Energie- und Klimapolitik offen. Nur drohende schlagartige Konsequenzen – wie der plötzliche Verlust von Lebensraum für die Bewohner der Region – könnte zu echtem Veränderungswillen seitens der polnischen Regierung führen“, so Meres. Manuel Först


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