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Saudi-Arabien – Vision 2030Mega-Smart-City im Wüstensand – mit aller Gewalt

Luftaufnahme der NASA von Saudi-Arabien, rotem Meer und angrenzenden Staaten
Die Öko-Megalopolis soll im äußersten Nordwesten Saudi-Arabiens in der Provinz Tabuk entstehen, auf einer Länge von 170 Kilometern, entlang der Küste des Roten Meeres. Hier leben Zehntausende von Menschen, die dafür gewaltsam vertrieben werden. (Foto: NASA/GSFC/JPL, MISR / Public Domain Dedication (CC0)

Der weltweit größte Rohöl Exporteur Saudi-Arabien hat den Baubeginn des Mega-Projekts „The Line“ angekündigt. Im Nordwesten des Landes soll eine Ökostadt der Superlative entstehen. Tausende von Menschen werden dafür aus ihrer Heimat vertrieben.

14.01.2021 – Im Nordwesten Saudi-Arabiens am Roten Meer, nahe den Grenzen zu Ägypten und Jordanien, plant der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman eine „Stadt der Zukunft“ und will damit den vor einigen Jahren eingeleiteten saudischen Ölausstiegsplan „Vision 2030“ verwirklichen. Damit bereitet sich Saudi-Arabien auf die Zeit nach dem Öl vor.

The Line ist Teil des höchst umstrittenen 500-Milliarden-Dollar-Projekts Neom, das Salman bereits 2017 vorgestellt hatte. Am Rande des Roten Meeres soll vor allem eine neue Wirtschaftszone entstehen. Neom ist Teil des Portfolios des Public Investment Fonds von Saudi-Arabien und damit einem der größten Staatsfonds der Welt.

Das gesamte beplante Gebiet umfasst eine Fläche rund 30 Mal so groß wie New York. Der Haken dabei: In diesem Gebiet leben bereits viele Menschen. Zehntausende wurden daher gewaltsam aus ihren Dörfern vertrieben, wie u. a. der Spiegel berichtete.

Der Kronprinz hat seinen Plan nun im staatlichen Fernsehen und anderen Medien vorgestellt. Geplant sei eine klimaneutrale Öko-Stadt ohne Autos. Eine Million Menschen sollten dort in Zukunft leben. The Line ist laut Plan insgesamt 170 Kilometer lang und soll mehrere Stadtzentren miteinander verbinden. Dabei sollen die Zentren vor allem Radfahrern und Fußgängern vorbehalten sein, die Infrastruktur so aufgebaut werden, dass eine „Stadt der kurzen Wege“ entsteht – mit Schulen, Gesundheitszentren, Dienstleistung, Arbeitsstätten und Grünanlagen. Eine neue Verkehrsinfrastruktur solle alle einzelnen Zentren der 170 Kilometer langen Mega-City v. a. unterirdisch miteinander verbinden „Klimaneutrale“ öffentliche Verkehrsmittel sollten zudem dafür sorgen, dass kein Weg länger als 20 Minuten dauert.

Der Kronprinz verspricht auch Klimaneutralität und eine Energieversorgung mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sollen in der Smart City eine Schlüsselrolle spielen. Man wolle das Konzept der konventionellen Stadt in das einer futuristischen umwandeln, so Salman in seiner TV-Ankündigung. Bereits im ersten Quartal dieses Jahres werde der Bau starten.

Mohammed bin Salman stellt sich damit einmal mehr als moderner und zukunftsgewandter Regent dar. Dafür ist ihm jedes Mittel recht, auch das der Gewalt. Das verwundert kaum: Er führt Krieg im Jemen und soll auch für den Mord des Journalisten Jamal Khashoggi mitverantwortlich sein. Kritische freie Meinungsäußerung wird hart bestraft und Menschenrechte tritt er mit Füßen. Sein Weg in die Zukunft ist restriktiv und gewaltsam, die Angst vor Kontrollverlust hoch. Erst seit rund einem Jahr dürfen Frauen in Saudi-Arabien Auto fahren. Aktivistinnen der Bewegung Women2Drive werden jedoch verfolgt oder sitzen im Knast. Seit dem Mord an dem Journalisten wagt kaum mehr jemand, sich öffentlich kritisch zu äußern.

Auch bei der Planung von „The Line“ handelt es sich um eine gewaltsame Landnahme. Das trifft viele Bauern in der Region und den Stamm der Hwaiti, der seit Hunderten von Jahren in der Gegend lebt. Mit der Kampagne #JusticeforNeomVictims hatten Aktivisten eine internationale Kampagne zum Schutz der Hwaitis gestartet. Auch sie wurden bedroht. Ohne Rücksicht auf seine eigenen Bürger treibt die Regierung das Projekt voran.

Mohammed bin Salman hat es nun eilig, das Königreich radikal umzubauen. Das bislang sichere Ölgeschäft muss durch neue Industrien ersetzt werden – Tourismus, Unterhaltung und Erneuerbare Energien.

Mit „The Line“ soll eine Art Miniaturstaat entstehen – mit voller digitaler Überwachung und sogar eigenen Gesetzen. „KI-fähige“ Gemeinden sollten entstehen, die zeigen, „wie Mensch und Natur in Harmonie zusammen existieren können.“ Roboter als Dienstleister, Gesichtserkennung statt Ausweis und Schlüssel. So könne man Kriminalität minimieren und ein entspanntes Leben führen, so die blumigen Ausführungen des radikalen Planers. Es werde jede Menge Unterhaltung geben, ein luxuriöses Seebad und Lufttaxis, eine Ultra-Hochgeschwindigkeits-Bahn und autonome Mobilitätslösungen.

All das klingt angesichts von Vertreibung, Gewalt und den geplanten Überwachungsmethoden mehr als zynisch. Doch Salman präsentiert sich unbeirrt als Weltverbesserer. „90 Prozent der Menschen atmen verschmutzte Luft ein“, weiß der Kronprinz. „Warum sollten jedes Jahr sieben Millionen Menschen aufgrund von Umweltverschmutzung sterben?“ Salman will sie alle retten, und zwar in seinem selbsterschaffenen „Öko-Staat“. Man werde Technologien erforschen, entwickeln und kommerzialisieren, so die Vision des Kronprinzen.

Als Beispiel einer am Computer entworfenen Mega-Ökostadt dürfte Masdar City in den Vereinigten Arabischen Emiraten gelten – im Vergleich zu „The Line“ allerdings im bescheidenen Maßstab. Masdar City wollte die erste CO2-neutrale Stadt der Welt werden. Entstanden ist eine hochtechnisierte Luxus-Öko-Stadt für Reiche – doch klimaneutral und autofrei wie 2008 geplant geht es hier nicht immer zu. So bleibt Masdar eher ein Experimentierfeld für Umwelttechnologien und Digitalisierung bis ins Schlafzimmer – Technologien, die in Zukunft weltweit lukrativ vermarktet werden können, wenn der Ölmarkt zu Ende geht. na


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