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SektorenkopplungWärme ist die halbe Energiewende

Biomasse-Heizhaus in der oberfränkischen Gemeinde Moosach, daneben eine Photovoltaikanlage
2018 hat die Gemeinde Moosach in Oberbayern eine klimafreundliche Nahwärmeversorgung installiert. Biomasse aus Holzabfällen der Umgebung, Solarthermie und Photovoltaik ergänzen sich zu einem effizienten System. (Foto: Viessmann / Enno Friedrich)

Die Umstellung des Wärmesektors auf Erneuerbare Energien hinkt der Energiewende im Stromsektor schwer hinterher – dabei lässt sich beides nur gemeinsam lösen. Rund die Hälfte des Endenergieverbrauchs entfällt in Deutschland noch auf Wärme und Kälte.

18.05.2021 – Die in Deutschland benötigte Energie für Wärme- und Kälteerzeugung wird derzeit noch zu fast 85 Prozent aus Kohle, Öl und Gas gewonnen, berichtet die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) – sei es für Heizungen, Kühlschränke, Warmwasser, Prozesswärme, Serverkühlung oder Klimaanlagen. Nur rund 15 Prozent stammten 2020 aus erneuerbaren Energiequellen – dabei zu einem Großteil aus Biomasse und Biogas, gefolgt von Erd- und Umweltwärme sowie Solarthermie. Zu teuer, zu aufwändig, zu kompliziert – das sind oft gehörte Argumente gegen eine beherzte Umsetzung der Wärmewende. Nicht ausgereifte Gesetzesvorgaben und hinderliche Regularien machen es den Akteuren zusätzlich schwer.

Synergien nutzen

Die Wärmeversorgung von morgen basiert auf dem Zusammenspiel verschiedener Technologien und Akteure; dazu kommen Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung, die Nutzung von Abwärme und aller natürlich vorhandener Wärmequellen sowie Speicherung von Wärme – und nicht zuletzt eine effiziente Kopplung mit dem Stromsektor und dem Ausbau von Wärmenetzen. Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK-Anlagen) sind effizient, weil sie neben Strom auch Wärme produzieren. Der eingesetzte Brennstoff – etwa Biomasse – wird damit effektiver und sparsamer verwendet. Die Nutzung verschiedener Erzeugungstechnologien in Verbindung mit Wärmenetzen bietet flexible Verbrauchsmöglichkeiten, die sich auch als Ausgleichsfaktor zur fluktuierenden regenerativen Stromerzeugung eignen. Dabei ist der Wärmemarkt insgesamt stark zergliedert und vor allem dezentral geprägt.

 

Großes Potenzial im Gebäudebestand

20 Millionen Gebäude müssen in ganz Deutschland mit Wärme versorgt werden – darauf entfallen derzeit über 30 Prozent des gesamten deutschen Endenergieverbrauchs. Deutschland heizt hauptsächlich noch mit Öl und Erdgas. Schlecht gedämmte Gebäude und veraltete Heizsysteme verbrauchen große Mengen an Energie. Erklärtes Ziel der deutschen Klimapolitik ist ein nahezu klimaneutraler Gebäudebestand bis 2050. Doch dafür sind die Sanierungsraten derzeit viel zu niedrig. Entscheidende Bausteine der zukünftigen Wärmeversorgung sind Erneuerbare Energien und eine deutliche energetische Verbesserung der Gebäudehülle sowie der Anlagentechnik.

Bei der klimafreundlichen Energieversorgung im Gebäudesektor gehen die Meinungen jedoch oft auseinander. Faktoren wie Wirtschaftlichkeit und Ökobilanz, aber auch Akzeptanz seitens der Bevölkerung müssen berücksichtigt werden. Technologien wie Solarthermie, Erdwärmesysteme und mit Solarstrom betriebene Luft- oder Wasserwärmepumpen stehen zur Verfügung und können gut kombiniert werden. Auch Biomasse in Form von Holz wird zur Wärmeerzeugung immer beliebter, vor allem in Verbindung mit Wärmenetzen im kommunalen Bereich, wo Biomasse über die Land- oder Forstwirtschaft vor Ort anfällt. Die Holzwirtschaft spricht sich dabei für eine mehrstufige stoffliche Nutzung aus, also Holz nicht vornehmlich als Heizmaterial, sondern vor allem als Baumaterial zu nutzen – denn nur so bleibe das CO2 über die Lebensdauer des Baumes hinaus für Jahrzehnte gebunden. Daher sollten lediglich Holzabfälle in die Verbrennung.

Wärmepumpen machen noch keine Energiewende

Die eine Lösung gibt es also nicht: Eine möglichst große Technologieoffenheit im heterogenen Gebäudebereich ist daher sinnvoll – Sanierungskonzepte müssen individuell zugeschnitten werden. Eine von vielen Akteuren geforderte Elektrifizierung der Wärmeversorgung mit dem massenweisen Einbau von Wärmepumpen wäre dabei nur ein möglicher Weg. Der Strom für die sechs Millionen Wärmepumpen allein in Wohngebäuden, wie manche Marktplayer sie für einen Umbau des Systems im Hinblick auf die Klimaziele fordern, muss regenerativ erzeugt werden. In den Städten und Gemeinden müssten dafür viele Dächer mit Solarmodulen vollgepackt werden.

Wärmenetze ausbauen

Um den Wärmebedarf großflächig und effizient erneuerbar zu decken ist es im kommunalen wie urbanen Kontext sinnvoll, mehrere Wärmeverbraucher zusammenzuschließen. Erfolgreiche Projekte sind bereits in Betrieb, Kommunen zeigen zunehmend Interesse an Wärmenutzungsplänen, die eine systematische Erschließung von Siedlungen, Gewerbe und Quartieren mit Wärmenetzen vorsehen. Die Potenziale und Herausforderungen sind auch hier recht unterschiedlich und müssen an das jeweilige Konzept angepasst werden, um die wirtschaftlich sinnvollste Lösung zu finden. Bislang werden in Deutschland nur rund zehn Prozent des Wärmebedarfs über Netze gedeckt – wobei noch 70 Prozent der Fernwärme in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK-Anlagen) erzeugt werden, die nach wie vor zum Großteil Kohle und Gas verfeuern.

Die Verantwortung der Städte

Um Kohle als Hauptquelle für Fernwärme zu ersetzen, hat die Stadt Helsinki im letzten Jahr einen weltweiten Wettbewerb für das nachhaltigste Projekt zur urbanen Wärmeversorgung der Zukunft ausgerufen. Finnlands Hauptstadt hat sich vorgenommen, bis 2035 quasi CO2-neutral zu werden, ab 2029 ist Kohle für die Energieerzeugung in Finnland verboten. „Bei der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft kommt den Städten eine Schlüsselrolle zu“, sagt Helsinkis Bürgermeister Jan Vapaavuori. Weltweit haben Städte bereits ambitionierte Pläne zur Reduzierung ihrer CO2-Emissionen vorgelegt und wollen im nächsten Jahrzehnt „klimaneutral“ werden. Die Stadt Helsinki gibt eine Steilvorlage, indem sie auch Heizsysteme ausschließt, die auf der Verbrennung von Biomasse beruhen.

Wärmequellen nutzen, Kreisläufe schließen

In Städten fällt viel Abwärme an, die meist ungenutzt verpufft: Beim Heizen, Kühlen, in industriellen Prozessen und Rechenzentren. Diese Abwärme kann zwischengespeichert und zeitversetzt über Wärmenetze zu den Gebäuden transportiert werden. Der städtische Energieversorger von Helsinki hat sich das zunutze gemacht: Abwärme aus unterschiedlichen Quellen wird in riesigen Wasserspeichern unterirdisch zwischengelagert und anschließend weiterverwendet.

Das Fernwärmenetz in Helsinki erstreckt sich über rund 1.200 Kilometer, 93 Prozent aller Gebäude werden darüber versorgt. Helsinki verfügt zudem über eines der am schnellsten wachsenden Fernkältenetze in Europa. Je nach Jahreszeit kommen unterschiedliche Verfahren zur Kühlung und Wärmeerzeugung zum Einsatz. In den warmen Sommermonaten erzeugt eine Absorptionskältemaschine aus der überschüssigen Restwärme Fernkälte. Ein weiteres Verfahren speichert Restwärme aus dem Rücklaufwasser der Fernkühlung und nutzt sie für die Heizung von Gebäuden und zur Warmwasserbereitung. Wärme und Kältekreislauf sind auf eine effiziente Art verbunden, um möglichst wenig Energie ungenutzt zu lassen.

Städte im Hitzestress – der Kühlbedarf steigt

Mit dem sommerlichen Hitzestress in Städten infolge des Klimawandels steigt der Kühlbedarf in Gebäuden drastisch an. In der Stadt Gera startete das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik bereits vor über 20 Jahren ein Pilotprojekt, bei dem eine Dampfstrahlkältemaschine, die durch den Dampf des örtlichen Fernwärmenetzes angetrieben wird, in der Innenstadt ein Fernkältenetz mit kaltem Wasser versorgt. Solche Kältemaschinen fanden vorher nur in der industriellen Fertigung Anwendung. Auch München verfügt seit vier Jahren über ein Fernkältenetz zur Versorgung von Gewerbe-, Wohn- und Bürohäusern, das stetig erweitert wird. In Wien wird Kälte aus der Abwärme einiger Kraftwerke sowie einer Müllverbrennungsanlage erzeugt und unter Benutzung des Prinzips einer Absorptionskältemaschine über ein Fernkältenetz in die Gebäude transportiert. In Paris wird das Wasser der Seine zur Kühlung des Fernkältenetzes genutzt.

Sonne ist Wärme

In Dänemark liegt der Anteil der Fernwärme an der Wärmeversorgung bei 64 Prozent, wovon bereits 49 Prozent aus Erneuerbaren Energien generiert werden. Seit 2013 sind im Neubau keine Öl- und Gasheizungen mehr zulässig. In der EU gilt Dänemark im erneuerbaren Wärme-Markt als Vorbild und setzt seit vielen Jahren auf Solarthermie. Es sind bereits über 100 dänische Kommunen und Städte, die einen hohen Solaranteil in den Nahwärmenetzen aufweisen. Teilweise übernehmen Solarthermieanlagen im Sommer sogar die gesamte Wärmeversorgung der Kommune. Auch in Schweden, Österreich, Frankreich und Deutschland steigt nun allmählich der Anteil der Solarthermie in Nah- und Fernwärmenetzen.

Wärme aus der Erde

Erdwärme ist eine Energiequelle, die mittels Wärmepumpen an fast jedem Standort genutzt werden kann, auch in geringen Tiefen. Sie bietet damit eine gute Schnittstelle zwischen der regenerativen Stromerzeugung und dem Heizen und Kühlen von Gebäuden. Die Stadt Aachen nutzt Thermalwasser zur Wärmeversorgung. Die Aachener Stadtwerke haben gemeinsam mit der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie ein Projekt gestartet, um Wärme aus der Tiefe zu holen und in das Aachener Wärmenetz einzuspeisen. Bislang wird ein großer Teil der Wärmeversorgung aus der Abwärme des Kohlekraftwerks Weisweiler bezogen. Diese soll nun bis 2030 durch hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung mit Geothermie-Nutzung ersetzt werden.

Wind zu Wärme

In der brandenburgischen Gemeinde Nechlin startete die Kommune ein Pilotprojekt, um Strom in Wärme umzuwandeln. Im Ort wurde 2020 eine Power-to-Heat Anlage in Betrieb genommen. Die Anlage benötigt nur ein Prozent der Energieerzeugung aus 17 Windenergieanlagen im nahen Umland, um mit dem Strom über eine Heizpatrone das in der Anlage befindliche Wasser auf 93 Grad zu erhitzten. Ein Wärmespeicher wurde im Nahwärmenetz installiert und versorgt die rund 100 Einwohner starke Gemeinde mit einem Heizbedarf von etwa 700.000 Kilowattstunden fast vollständig. Jährlich spart die Anlage eine Menge von 200 Tonnen CO2 im Vergleich zum Betrieb der Gebäude-Ölheizungen ein. Die sind jetzt überflüssig geworden.

Dynamik in die Wärmewende bringen

Für eine schnellere Umsetzung der Wärmewende fordert der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) gemeinsam mit kommunalen Energieversorgern von der Politik einen 4-Punkte-Plan: Dazu gehöre die Weiterentwicklung des Erneuerbaren-Wärmebonus und verbesserte Anreize für den Neu- und Ausbau von Wärmenetzen durch Anpassungen im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG). Die Einführung von Ausschreibungen für solarthermische Großkollektoren und verbesserte Rahmenbedingungen für Tiefengeothermie-Projekte – und eine industriepolitische Stärkung und begleitende Markteinführung für den heimischen Anlagenbau und finanzielle Unterstützung für finanzschwache Kommunen.

Der BEE rät außerdem zu deutlichen Preissignalen im nationalen und europäischen Emissionshandel. „Dazu gehört auch eine deutliche Absenkung des Strompreises, um Erneuerbaren Strom umfassend im Wärmesektor nutzbar zu machen“, sagt BEE-Präsidentin Simone Peter.

Der Wärmemarkt ist komplex und von unterschiedlichen Akteuren geprägt – und bietet enorme Chancen. Die Wärmewende bleibt daher eine große gemeinschaftliche Aufgabe von Energieversorgern, Politik, Wirtschaft und den Kommunen. Denn klimagerechte Wärmelösungen sind oft Gemeinschaftsprojekte, in die lokale Akteure wie Energiegenossenschaften, Land- oder Forstwirte sowie mittelständische Projektentwickler und die Bürger mit einbezogen werden müssen. Welches Wärmesystem die optimale Lösung darstellt, lässt sich pauschal nicht bestimmen. Aber eins ist klar: Die Wärmewende muss jetzt an Tempo gewinnen. Nicole Allé


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