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Investigative RechercheEuropäische Universitäten forschen mit Geld von fossilen Konzernen

Hauptgebäude der Universität Trondheim in Norwegen
Renommierte Universitäten in Europa nehmen Geld von fossilen Konzernen an. (Foto: Shekko auf Wikimedia / CC BY-SA 3.0)

Wie große Ölkonzerne europäische Universitäten finanziell unterstützen, zeigt die Analyse von Investigate Europe. Aktivisten sind besorgt. Zum einen sei das Greenwashing, schlimmstenfalls sichert das Geld den Fortbestand fossiler Brennstoffe.

30.11.2023 – Universitäten in ganz Europa haben Fördermittel von Öl-, Gas- und Bergbauunternehmen angenommen. Mindestens 260 Millionen Euro flossen von fossilen Konzerne in Forschung, Studiengebühren, Sponsoring und Zuschüsse an einige der führenden Universitäten in Europa. Das ergab eine Untersuchung des Recherchenetzwerks Investigate Europe in Zusammenarbeit mit Open Democracy.

170 Millionen an 60 Universitäten in Großbritannien

Von openDemocracy eingereichte Anfragen gemäß dem Gesetz zur Informationsfreiheit ergaben, dass 60 Universitäten in Großbritannien zwischen 2016 und 2023 insgesamt mindestens 170 Millionen Euro angenommen haben. Das Imperial College war der mit Abstand größte Empfänger fossiler Geldspritzen und erhielt fast die Hälfte der in Großbritannien geflossenen Gelder. Aber auch die renommierte University of Cambridge erhielt 18 Millionen Euro, die Universität Oxford 12 Millionen Euro.

Auf dem europäischen Kontinent hat Investigate Europe herausgefunden, dass Universitäten in acht Ländern mindestens 90 Millionen Euro angenommen haben. So erhielten unter anderem 10 norwegische Universitäten und Fachhochschulen 68 Millionen Euro fossiles Geld.

Shell ist größter Einzelsponsor

Den größten Beitrag spendierte Shell zusammen mit seinen Tochtergesellschaften und verbundenen Unternehmen, wobei mindestens 62 Millionen Euro von Shell an britische Universitäten gingen. Die nächstgrößten Geldgeber waren BP, Malaysias staatlicher Ölkonzern Petronas, Total und der Bergbaukonzern BHP. Der französische Ölkonzern Total, der italienische Ölkonzern Eni und der norwegische Ölkonzern Equinor sind weitere Sponsoren.

Shell spendete auch großzügig an die ETH Zürich und stellte 1,7 Millionen Euro von rund 5 Millionen Euro zur Verfügung, die die renommierte Schweizer Universität seit 2016 erhalten hat. Darin enthalten waren 200.000 Euro für ein Projekt, bei dem maschinelles Lernen zur Verbesserung des „Reservoir Simulators von Shell“ eingesetzt wurde. Die Lagerstättensimulation ist eine Technologie, die in der Regel zur Unterstützung der Ölexploration und -erschließung eingesetzt wird.

Auch Universitäten in Spanien und Italien erhielten Geld, jeweils rund 5 Millionen Euro.

Einflussnahme und drohender Reputationsverlust

Aktivisten sind besorgt über den Einfluss der Industrie auf die akademische Forschung. „Unternehmen für fossile Brennstoffe sind die Hauptursache für den Klimakollaps“, sagte Alice Harrison, Kampagnenleiterin für fossile Brennstoffe bei Global Witness. „Indem sie an Universitäten spenden, versuchen sie bestenfalls, ihr Image grün zu waschen, indem sie sich mit seriösen Institutionen verbinden. Im schlimmsten Fall versuchen sie, Forschung und Lernen so zu verzerren, dass fossile Brennstoffe in unsere Energiezukunft integriert werden.“

Stuart Parkinson, Geschäftsführer der britischen Scientists for Global Responsibility, sagte, dass die Spenden ein Reputationsrisiko für akademische Einrichtungen darstellen. Er ist der Meinung, dass die Universitäten eine stärkere Position einnehmen müssen, wenn es darum geht, woher sie ihr Geld bekommen. „Die fossilen Sponsoren sollten wie die Tabakindustrie behandelt werden, die viele Jahre lang Forschung finanzierte, um die Abkehr vom Tabak zu untergraben. Schließlich wurde dieses Geld abgelehnt, weil es als schlechte Öffentlichkeitsarbeit angesehen wurde. Wir sollten den gleichen Weg mit der fossilen Brennstoffindustrie gehen.“

Rechtfertigungen von Ölkonzernen

Rechtfertigungen der Ölkonzerne hören sich zukunftsgewandt an.  Die Industrie argumentiert, dass die meisten Mittel für die Entwicklung erneuerbarer und kohlenstoffarmer Energien verwendet werden.

Ein Sprecher von Shell sagte, das Unternehmen habe „lange und geschätzte Beziehungen“ zu einer Reihe von britischen Universitäten. „Unsere Kooperationen zielen darauf ab, die klügsten Köpfe mit den richtigen Ressourcen sowie der kommerziellen Fähigkeit zu kombinieren, neue kohlenstoffärmere Energielösungen zu skalieren und zu implementieren." BP reagierte nicht auf die Bitte um Stellungnahme.

„Ein starkes Engagement für Forschung und Bildung“ attestiert ein Sprecher von Equinor seinem Unternehmen. Man investiere aktiv in erneuerbare Energien, CCS und andere Bereiche, einschließlich Öl und Gas. „Wir sind stolz darauf, mit Universitäten zusammenzuarbeiten, um talentierte junge Menschen auszubilden, die die Energieführer von morgen sein werden.“

Forschung in Kohlenstoffabscheidung ist Freikarte für Öl- und Gasindustrie

Warum sollten Unternehmen für fossile Brennstoffe kein Geld in die Forschung stecken, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern? Einige Experten sehen Lösungen wie CCS, bei dem Kohlendioxid unterirdisch gespeichert wird, derzeit als die einzige praktikable Option für Sektoren wie Infrastruktur, Chemie und Zement, die nur schwer zu dekarbonisieren sind.

Eni erklärte, dass seine Finanzierung wichtige Ressourcen für die Entwicklung neuer Technologien und erneuerbarer Energiesysteme bereitstellt und dass es weiterhin in Universitäten investieren“ wird. Ein Sprecher fügte hinzu: „Eni sieht keinen Konflikt zwischen dem Aufbau von Partnerschaften und Investitionen in die technologische Forschung, um den Übergang zu unterstützen, und der Aufrechterhaltung der Versorgung mit traditioneller Energie.“

Der Eifer der Industrie, Forschung zu finanzieren, ist darauf zurückzuführen, dass sie oft mit ihren Interessen übereinstimme, so Harrison von Global Witness. „Die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung ist etwas, das die fossile Brennstoffindustrie besonders gerne fördert, weil es eine Freikarte für die Fortsetzung der Öl- und Gasproduktion ist.“

Norwegische Universität steht offen zu fossiler Unterstützung

Auch auf Universitätsseite sind Rechtfertigungen zu hören. Toril Nagelhus Hernes, Prorektor für Innovation an der norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU), die zwischen 2017 und 2022 rund 29 Millionen Euro annahm, sagte: „Wir arbeiten seit langem mit der Mineralölindustrie zusammen, die nun nachhaltige und erneuerbare Energielösungen auf ihre Agenda gesetzt hat. Ein Großteil der Projekte bezöge sich auf erneuerbare Energien. Viele der Aktivitäten zielten auf Technologieentwicklung, aber auch auf Energiewendestrategien, nachhaltige Energiesysteme, Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS), Ökologie, natürliche Vielfalt und die sozialen Auswirkungen der Energiewende.

Italienischer Wissenschaftler kritisiert Praktiken

Es gibt aber durchaus auch in der Wissenschaft Bewusstsein für die nicht akzeptable Verbindung zwischen fossiler Lobby und öffentlichen Forschungseinrichtungen. 2022 trat Marco Grasso von der Universität Milano-Bicocca aus Protest gegen die Verflechtungen von seinem Posten als Forschungsdirektor zurück. Er erklärte, dass Eni und andere Ölkonzerne die Investitionen nutzten, um sich gegenüber der Öffentlichkeit zu legitimieren. „Für sie ist es nichts, ein Krümel. Eni hat im vergangenen Jahr 22 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Aber mit dieser einen Vereinbarung können sie sagen: Seht her, wir machen ein Projekt zur Energiewende mit einer öffentlichen Universität", sagte Grasso, der weiterhin Professor für politische Geographie an der Universität ist.

Finanzierung von Universitäten ist politische Entscheidung

Der Fakt, dass Universitäten immer öfter und in größerem Umfang Drittmittel von Unternehmen oder Stiftungen einwerben müssen, ist eine der Ursachen für diese Entwicklung. „Das Problem begann etwa 2008, als der Staat begann, die Universitäten unter Druck zu setzen, ihre eigenen Ressourcen zu suchen, auch von Unternehmen, ohne ihnen zu sagen, wie sie es richtig machen sollen", sagt Matthieu Lequesne, ein ehemaliger Student der École Polytechnique. Der Vorstandsvorsitzende von Total sitzt im Vorstand der renommierten französischen Universität.

Lequesne ist nicht gegen solche Partnerschaften, solange Transparenz herrscht. "Wir haben keinen Einblick in den Prozess", sagt er, der seit Jahren gerichtliche Auseinandersetzungen führt, um Zugang zu Dokumenten über die Beziehung der École Polytechnique zu Total zu erhalten.

Kein vollständiges Bild der fossilen Einflussnahme

Das volle Ausmaß der Beziehungen zwischen den europäischen akademischen Einrichtungen und den Unternehmen für fossile Brennstoffe ist trotz der umfangreichen Recherche nicht klar. Die angefragten Universitäten, die als öffentliche Körperschaften zur Auskunft verpflichtet sind, gaben teilweise intransparente Antworten – oder auch gar keine.  In Polen wurden beispielsweise 21 Universitäten angeschrieben, nur fünf reagierten, in Italien antwortete nur die Hälfte von 67 angeschriebenen öffentlichen Universitäten. In Frankreich gibt es nur sehr begrenzte Offenlegungspflichten. In Portugal sind die Universitäten von Transparenzpflichten befreit.

Nachdem die Universität Federico II in Neapel die Anfrage von Investigate Europe erhalten hatte, beriet sie sich mit dem Geldgeber Eni darüber, welche Informationen veröffentlicht werden sollten. Der Ölriese teilte ihnen mit, dass er die Erlaubnis zur Weitergabe von Daten „ausdrücklich verweigert“ habe. Die Universität bot daraufhin an, die Fördersummen für jedes Projekt zur Verfügung zu stellen, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Eni lehnte dies ebenfalls ab und sagte, es würde immer noch „in den Bereich der Geschäftsgeheimnisse“ fallen und ihren kommerziellen Interessen konkreten Schaden zufügen. Am Ende wurden überhaupt keine Daten veröffentlicht. pf


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