Menü öffnen

Jahresausblick 2022Alle Augen auf die neue Bundesregierung

Karikaturen von Baerbock, Scholz und Lindner bei einer Demo.
Schon bei den Sondierungsgesprächen im Oktober 2021 forderten Klimaaktivist:innen lautstark wirksames Handeln vom neuen Ampel-Bündnis in der Klimakrise. (Bild: Leonhard Lenz, Wikimedia Commons, Public Domain)

Deutschland und die Welt blicken 2022 gespannt auf das neue Ampel-Bündnis. Welche konkreten Klimaschutzvorhaben werden schon in diesem Jahr umgesetzt oder zumindest auf den Weg gebracht? Ein Ausblick auf das erste Jahr der neuen Bundesregierung.

03.01.2022 – Ein von den Grünen im Bundestagswahlkampf gefordertes Klimaschutzsofortprogramm kristallisiert sich noch nicht heraus. Dass man ein solches auf den Weg bringen und bis Ende 2022 abschließen wolle, verspricht die Ampel-Koalition aber in ihrem Koalitionsvertrag. Im Zuge dessen werde man „das Klimaschutzgesetz noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickeln“. Gesetzentwürfe aller Ressorts sollen einem sogenannten Klimacheck unterzogen werden.

Ob das Klimaschutzsofortprogramm den Wünschen der Grünen entsprechen wird, wird sich zeigen. SPD und FDP haben ein gewichtiges Wort mitzureden. Eine Forderung der Grünen ist eine Absenkung der EEG-Umlage (und das sogenannte Energiegeld) zur Abfederung eines steigenden CO2-Preises. Und die wird seit Anfang Januar tatsächlich reduziert, von 6,5 auf 3,723 Cent pro Kilowattstunde Strom. Doch die Absenkung wurde noch von der alten Bundesregierung auf den Weg gebracht und ist unter anderem eine Reaktion auf die stark gestiegenen Börsenstrompreise.

Das neue Bündnis hat sich indes zum Ziel gesetzt, die EEG-Umlage ab 2023 komplett abzuschaffen. Wie schon ab diesem Jahr, soll der Ausbau der Erneuerbaren verstärkt durch Einnahmen aus dem CO2-Preis und dem Bundeshaushalt finanziert werden. Der CO2-Preis für Verkehr und Wärme selbst wird aber nur leicht steigen, von 25 auf 30 Euro pro Tonne Kohlendioxid.

Die zusätzlichen Heizkosten, die sich daraus ergeben, müssen bislang vollständig die Mieter:innen zahlen. Das soll sich zum 01. Juni 2022 ändern. Man wolle ein Stufenmodell nach Gebäudeenergieklassen einführen, indem eine faire Teilung der zusätzlichen Kosten ermöglicht wird. Gelingt das zeitlich nicht, sollen die erhöhten Kosten dann durch den CO2-Preis „hälftig zwischen Vermieter und Mieterin bzw. Mieter geteilt“ werden – so steht es im Koalitionsvertrag.

Nichts Konkretes

Konkrete Ausbauziele für die Erneuerbaren Energien in diesem Jahr finden sich im Koalitionsvertrag hingegen nicht. Richtwerte bieten lediglich die Ziele für 2030. Bis dahin soll 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien stammen, das wären rund 600 Terrawattstunden aus erneuerbaren Quellen. Zum Vergleich: 2020 produzierten Erneuerbare rund 246 TWh Strom. Damit muss in den nächsten acht Jahren doppelt so viel geschafft werden, wie in Summe der vergangenen 20 Jahre.

Für dieses ambitionierte Vorhaben wolle man noch im ersten Halbjahr 2022 „alle notwendigen Maßnahmen anstoßen“. Es geht unter anderem um beschleunigte Genehmigungsverfahren, mehr Flächen für Windkraft an Land, indem man etwa Abstände zu Drehfunkfeuern und Wetterradaren reduziert, und der Entschärfung von Konflikten zwischen Windkraft und Artenschutz.

Das sind gewaltige Aufgaben, die dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium und ihrem Minister Robert Habeck bevorstehen. Die Bereitstellung zusätzlicher Flächen für Windkraft auf See haben das BMWi und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) bereits in die Wege geleitet. Flächen auf denen perspektivisch Windenergieanlagen mit einer Leistung von drei Gigawatt für drei Millionen Haushalte gebaut werden könnten. Bis Ende des Jahres soll ein entsprechender Flächenentwicklungsplan vorliegen.

Erarbeitet werden soll auch ein neues Strommarktdesign. Die geplante Plattform "Klimaneutrales Stromsystem" aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft soll 2022 konkrete Vorschläge erarbeiten. Unter der Leitung des Bundesverband Erneuerbare Energien hat ein breites Bündnis bereits Vorschläge erarbeitet. Denn die ökonomischen Rahmenbedingungen für die Ausbauziele der Erneuerbaren Energien fehlen bislang.

Wie sich Wirtschaftsminister Habeck Deutschlands künftiges Wirtschaftssystem vorstellt, lässt sich dem kürzlich erschienen Jahreswirtschaftsbericht des BMWi entnehmen. Die Zeit sei reif für eine „sozialökologische Marktwirtschaft“, heißt es in dem Bericht, über den die taz berichtete. Und: Politik müsse sich in Zukunft stärker am Gemeinwohl und weniger an Lobby-Einfluss orientieren. Wie eine entsprechende Transformation angegangen werden kann, dazu sollen Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Frühjahr 2022 in einem „gemeinsamen Aktionsraum“ zusammenkommen.

Neue Klimaaußenpolitik

International will die neue Außenministerin Annalena Baerbock Klimapolitik zur Priorität ihres außenpolitischen Handelns machen. Im Rahmen der anstehenden G7-Präsidentschaft Deutschlands wird 2022 die Gründung eines internationalen Klimaclubs angestrebt. Auf Augenhöhe solle dort Klimaneutralität, der massive Ausbau Erneuerbarer Energien und deren Infrastruktur, die Produktion von Wasserstoff, sowie ein globales Emissionshandelssystem angestrebt werden, das mittelfristig zu einem einheitlichen CO2-Preis führt. Konkreten Entscheidungen dazu sind in diesem Jahr aber noch nicht zu erwarten.

Ebenfalls für 2022 kündigt die Bundesregierung die Begründung von Klimapartnerschaften mit Entwicklungs- und Schwellenländern an. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Mit Klima- und Entwicklungspartnerschaften fördern wir beidseitigen Wissens- und Technologietransfer, den Ausbau Erneuerbarer Energien mit eigenständiger Wertschöpfung und lokalen Nutzungsmöglichkeiten, nachhaltige Infrastruktur und weitere Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in unseren Partnerländern.“

Auf der kommenden Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten wird Deutschland nicht wie im vergangenen Jahr zwischen zwei Regierungen stehen und die Staatengemeinschaft erwartet deutlich ambitionierteres Handeln. Weitreichende Entscheidungen, wie bei der letztjährigen Klimakonferenz zum Artikel 6, stehen bei der COP27 aber nicht auf der Agenda. Weitere gemeinsame Initiativen aber sind möglich. So wurde bei der COP26 in Glasgow unter anderem der Ausstieg aus der Finanzierung fossiler Energien im Ausland beschlossen, der aber von der alten Bundesregierung noch deutlich abgemildert wurde. In Einzelfällen ist eine weitere Finanzierung von Gas-Technologien möglich. Nun liegt es an Baerbock, aber auch Habeck, wie dieser Passus von Deutschland künftig interpretiert wird.

Konflikt ums Gas

Die beiden sind auch in entscheidenden Positionen, wenn es um das Projekt Nord Stream 2 geht. Die fertig gestellte aber noch nicht in Betrieb gegangene Gas-Pipeline von Russland nach Deutschland durch die Ostsee, ist aus Gründen des Klimaschutzes und der Geopolitik in der Kritik. Angesichts des Ukraine-Konflikts, der weiter zu eskalieren droht, wird international gefordert Nord Stream 2 als Druckmittel einzusetzen. Als Außenministerin muss Baerbock auf dem internationalen Parkett zwischen verschiedenen Interessen vermitteln.

Persönlich sprach sie sich wiederholt gegen eine Inbetriebnahme aus. Als Teil der Bundesregierung verwies sie Mitte Dezember darauf, dass die Pipeline nach jetzigem Stand nicht genehmigt werden kann. Laut Koalitionsvertrag werde man sich an europäisches Energierecht halten. Die Bundesnetzagentur hat ein Zertifizierungsverfahren des Betreibers, der Nord Stream 2 AG, ausgesetzt, da diese nicht nach deutschem Recht organisiert ist. Darüber hinaus ist die AG über eine Tochtergesellschaft im Vollbesitz von Gazprom und damit eine offensichtliche Verflechtung zwischen Gaslieferant und Netzbetreiber gegeben. Genau das ist nach europäischem Energierecht nicht möglich.

Auch Habeck und das Wirtschaftsministerium hätten Möglichkeiten in das Zertifizierungsverfahren einzugreifen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich wiederum wiederholt für die Gas-Pipeline ausgesprochen und wird in dem Konflikt ebenfalls entscheidend mitwirken. Sollte sich die Nord Stream 2 AG nach deutschem Recht organisieren, wird die Bundesnetzagentur den Ball voraussichtlich an die EU-Kommission weitergeben, die Einwände äußern kann. 2022 werden dazu weitreichende Entwicklungen erwartet.

Weichenstellungen dafür, wie insgesamt mit künftigen Gas- wie auch Atomkraft-Projekten in der EU umgegangen wird, werden in diesem Jahr ebenso gelegt. Am Neujahrstag wurde ein lange erwarteter Entwurf der EU-Kommission öffentlich, wonach Gas und Atomenergie im Rahmen der sogenannten EU-Taxonomieverordnung als nachhaltig eingestuft werden sollen, Investoren wie Banken also entsprechende Investments als nachhaltig deklarieren können.

Es wird vermutet, dass sich Olaf Scholz für die Deklaration von Gas-Projekten als nachhaltig eingesetzt hat, auch wenn neue Gaskraftwerke bereits auf die Wasserstoffproduktion ausgerichtet werden sollen. Im Gegenzug unterstützte er den Wunsch der französischen Regierung, Atomkraft ebenfalls als nachhaltig zu labeln. Von Habeck gab es sogleich Kritik an dem Vorgehen. Nachdem der Entwurf in den kommenden Tagen offiziell von der EU-Kommission vorgelegt wird, können sich EU-Parlament und Rat noch dagegen aussprechen. Ob es ein gemeinsames und abgestimmtes Vorgehen der Bundesregierung geben wird, erscheint fragwürdig. Es droht ein offener Streit, gleich zu Beginn des Jahres. Manuel Först


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft