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BraunkohleDer wirtschaftliche Druck steigt wieder

Braunkohlekraftwerk Weisweiler im Hintergrund, davor ein Dorf
Das von RWE betriebene Braunkohlekraftwerk Weisweiler im Rheinischen Revier in Nordrhein-Westfalen gehört zu den größten Klimasündern Europas. (Bild: Günter Hentschel, flickr, CC BY-ND 2.0)

Vor dem Hintergrund gestiegener Erdgaspreise konnte die Braunkohle 2021 Gewinne einfahren. Doch der marktgetriebene Kohleausstieg wird wieder Fahrt aufnehmen, prognostizieren Expert:innen. Dafür bedarf es auch neuer Planungen für die Tagebaue.

13.01.2022 – Die 2017 vom Ökoinstitut und im Auftrag der Agora Energiewende vorgelegte Studie „Die deutsche Braunkohlewirtschaft“, gab wichtige Impulse für die Diskussionen innerhalb der Kohlekommission, die sich letztendlich auf einen Kohleausstieg bis 2038 festlegte. Der ursprüngliche Ausstiegsfahrplan wurde dabei von den teilnehmenden Umweltverbänden zähneknirschend mitgetragen. Die alte Bundesregierung legte zwar 2038 als engültigen Abschied von der Kohle fest, folgte aber dem begleitenden Ausstiegsplan nicht, was für Entsetzen sorgte.

Inzwischen ist viel passiert. Die Europäische Union legte verschärfte Klimaziele vor, das Bundesverfassungsgericht erklärte das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition für unzureichend und schließlich versprach die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag den Kohleausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorzuziehen. Flankiert wurde dieses Versprechen unter anderem mit Instrumenten zur Sicherung des CO2-Preises im Europäischen Emissionshandel von über 60 Euro. Sollte dieser in den nächsten Jahren in der EU darunter fallen, werde man nationale Maßnahmen, wie die Zertifikatlöschung oder einen eigenen Mindestpreis, vornehmen.

Schon die bisherige Entwicklung zeigte, dass ein entsprechend hoher Preis pro ausgestoßener Tonne CO2 den marktgetriebenen Kohleausstieg beschleunigt. Die von der Bundesnetzagentur durchgeführten Auktionen zur Abschaltung von Steinkohlekraftwerken waren regelmäßig überzeichnet. Das heißt es bewarben sich deutlich mehr Betreiber um Entschädigungen für die Abschaltung ihrer Kraftwerke als gesetzlich möglich war. Auch Braunkohlekraftwerke befanden sich Anfang letzten Jahres in der Verlustzone. Geringe Strommarktpreise und der europäische Emissionshandel waren etwa für die LEAG problematisch.

Felix Matthes, Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik am Ökoinstitut prognostizierte im März 2021, dass die LEAG am Strommarkt ihre kurzfristigen Betriebskosten zwar noch decken, doch für größere Reparaturen, Investitionen oder Personalkosten schnell Geld fehlen könne. „In dem Moment, wo etwa im Kraftwerk eine größere Reparatur ansteht, stellt sich die Frage, ob sie das Kraftwerk weiterbetreiben können“, sagte Matthes gegenüber der energiezukunft. Über zwei bis drei Jahre sei es noch möglich, ein Kraftwerk auf Verschleiß zu fahren, doch dann könnte „die Stunde der Wahrheit“ gekommen sein und selbst die fixen Betriebskosten seien nicht mehr zu decken, so Matthes weiter.

Kurzfristige Gewinne

Die Entwicklung der Erdgaspreise sorgte indes dafür, dass Braunkohlekraftwerke, trotz weiter steigendem CO2-Preis auf inzwischen über 80 Euro pro Tonne Kohlendioxid, 2021 sogar Gewinne einfuhren. Braunkohlekraftwerke liefen vielerorts unter Volllast, um Gas zu ersetzen, dass im Zuge der steigenden Konjunktur der Weltwirtschaft und vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen knapp und damit teurer wurde. Auch der Preis für den Import von Steinkohle nahm deutlich zu. Braunkohlekraftwerke mussten deren geringere Verstromung ebenso auffangen, wie die eher maue Windkrafternte im ersten Halbjahr.

Trotzdem prognostizieren das Öko-Institut und Agora Energiewende in einem nun erschienen Update zur deutschen Braunkohlenwirtschaft, dass sich der Kohleausstieg erheblich beschleunigen wird. Demnach werde der ökonomische Druck auf Braunkohlenkraftwerke spätestens ab 2024 wieder deutlich zunehmen. Der Anstieg der CO₂-Preise habe bewirkt, dass viele Braunkohlenkraftwerke ihre Betriebskosten perspektivisch nicht mehr decken können.

„Die Gesamtschau zeigt, dass Braunkohlekraftwerke bei CO₂-Preisen über 60 Euro pro Tonne ihre Fixkosten nicht decken können, wenn sich die Erdgas- und Steinkohlepreise wieder auf das übliche Niveau einstellen“, erläutert Hauke Hermann, Energieexperte am Öko-Institut. „Daher ist davon auszugehen, dass die Stilllegungsanreize für Braunkohlekraftwerke ab Mitte der 2020er Jahre massiv zunehmen werden.“ Die im Koalitionsvertrag genannten Regelungen, über die der CO₂-Preis bei mindestens 60 Euro liegen soll, würden diesen Prozess flankieren.

Entschlossenheit nötig

Ökoinstitut und Agora Energiewende mahnen die neue Bundesregierung nun zu Entschlossenheit, den weiteren, für dieses Jahr vorgesehenen, Überprüfungsschritt für ein Enddatum der Kohleverstromung so auszugestalten, dass ein Kohleausstieg bis 2030 möglich wird. Die Expert:innen schließen dabei die Zahlung weiterer Entschädigungen an die Braunkohleunternehmen aus. Als wichtig erachten sie indes die aktuelle Planung der Braunkohlentagebaue zeitnah an den sich beschleunigenden Kohleausstieg anzupassen.

Denn die Planungen orientieren sich noch immer an einem Kohleausstieg 2038, mit zum Teil bis dahin aufgebauten Rückstellungen für die Rekultivierung. Doch bei einem Kohleausstieg 2030 fallen die Kosten für die Rekultivierung wesentlich früher an, sodass die Rückstellungen früher abgerufen werden müssen. Mit Stand Ende 2019 haben die Braunkohleunternehmen nach eigenen Angaben 5,9 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet. Doch diese Rückstellungen sind überwiegend in Tagebaue und Kraftwerke investiert. Vor dem Hintergrund der gestiegenen CO₂-Preise ergeben sich Finanzierungsrisiken, wie die Expert:innen des Ökoinstitut warnen.

Verluste sind etwa in den Rückstellungen der LEAG für die Braunkohlefolgekosten nicht vorgesehen, wie das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) 2019 analysierte. „Das jetzige System der Finanzierung beruht darauf, dass die Braunkohle auch in Zukunft viel Geld verdient. Das ist aber längst nicht mehr der Fall“, sagte Swantje Fiedler vom FÖS schon damals. Aufgrund eines komplizierten Firmengeflechts hinter der LEAG, könnte der Steuerzahler am Ende für die Braunkohle-Folgekosten aufkommen.

Immerhin haben die betroffenen Bundesländer inzwischen begonnen insolvenzsicheres Vermögen in Zweckgesellschaften aufzubauen. Für das Ökoinstitut ein Schritt in die richtige Richtung. Aufbau und Abruf dieses Vermögens müssten nun an den sich beschleunigenden Kohleausstieg angepasst werden. mf


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