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BauwendeBestandssanierung muss vor Abriss und Neubau stehen

Abriss, Gebäude, Architektur, Baumaterial, Ressourcen
Ist das Architektur oder kann das weg? In Deutschland herrscht eine klimaschädliche Abrisskultur, hat die DUH festgestellt. (Foto: Denis Lorain on Unsplash)

Über 14.000 Gebäude werden in Deutschland jährlich abgerissen – ohne verpflichtende Genehmigung und Prüfung der Klimafolgen, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Das verursacht tonnenweise CO2 und Müll. Die DUH fordert ein Abrissmoratorium.

17.08.2023 – Zahlreiche Beispiele für Gebäudeabrisse zeigten, dass Klima- und Ressourcenschutz im Gebäudesektor keine Rolle spielen: Um Fakten zu sammeln, hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Anfang des Jahres bundesweit dazu aufgerufen, Beispiele von durchgeführten oder geplanten Gebäudeabrissen zu melden – und 200 Beispiele gesammelt.

Ob Einfamilienhäuser, Verwaltungsgebäude, Bildungseinrichtungen, Wohnblöcke und Supermärkte: Abrisse wären meistens nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit. An der Spitze der Abrissbirne stehen den Beispielen zufolge Ein- und Zweifamilienhäuser, da sie unter die Bagatellgrenze fallen und ganz ohne Genehmigung abgerissen werden dürfen. Dabei müsse man selbst zum Fällen bestimmter Bäume im Garten eine Genehmigung einholen, vergleicht DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz.

Appell an das Bauministerium

Laut Hochrechnungen der DUH vermeidet die Sanierung eines bestehenden Gebäudes ein Drittel der Emissionen eines Neubaus. So könnten jährlich in Deutschland rund 1,1 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Die DUH fordert deshalb ein Abrissmoratorium, bis es eine Abriss-Genehmigungspflicht inklusive Ökobilanzierung gibt. Diese könnte laut juristischem Gutachten problemlos in die Landesbauordnung aufgenommen werden.

„Es ist vollkommen unverständlich, warum die Bauministerin zulässt, dass vermeidbare Abrisse jedes Jahr Millionen Tonnen CO2 freisetzen und wertvolle Ressourcen vernichten“, kritisiert Metz. „Angesichts der verfehlten Klimaziele im Gebäudesektor ist es geradezu fahrlässig, am willkürlichen Abrisswahn in Deutschland festzuhalten. Es wäre ein leichtes, eine Abrissgenehmigungspflicht auf Basis einer Ökobilanzierung in die Musterbauordnung aufzunehmen. Nur dann werden auch die Bundesländer nachziehen und die Regelung in den Landesbauordnungen integrieren.“

Zudem verstärke der Abrisswahn die Wohnungskrise, indem bezahlbarer Wohnraum abgerissen wird. Sanierung und Umbau könnten die Wohnqualität im bestehenden Wohnraum sozialverträglich erhöhen und gleichzeitig den Flächenverbrauch im Vergleich zum Neubau reduzieren, so Merz.

Klimafeindliche Materialschlacht

Bei unvermeidbaren Abrissen müssten zudem Wiederverwendungs- und Recyclingkonzepte sicherstellen, dass Materialien nicht verschwendet werden. Bau- und Abbruchabfälle machen über die Hälfte desdeutschen Abfallaufkommens aus. Trotz der hohen Beschaffungskosten für das Primärmaterial werden zwei Drittel aller Bauabfälle nicht hochwertig wiederverwendet. Die Materialien werden verbrannt, deponiert oder bestenfalls im Straßenbau verfüllt.

In Deutschland verursachen Herstellung, Errichtung (Bau), Modernisierung, Nutzung und der Betrieb von Gebäuden rund 40 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen. Rund 10 Prozent der Treibhausgase in Deutschland entstehen allein durch die Herstellung, Errichtung und Entsorgung von Gebäuden und Bauprodukten.

„Durch den Umbau und die Sanierung bestehender Bausubstanz gelingt es uns, neue Flächenversiegelung zu vermeiden und sowohl klima-als auch ressourcenschonend unter anderem dringend benötigten Wohnraum zu schaffen“, sagt Timm Sassen, Geschäftsführer des Projektentwicklers Greyfield Group, der sich der Bestandssanierung angenommen hat. „In der Umnutzung von Büro und Verwaltungsgebäuden liegt beispielsweise ein Flächenpotential für bis zu 1,86 Millionen Wohnungen bis 2040. So könnte neuer Wohnraum klima- und ressourcenschonend durch Umbau geschaffen werden.“

„Zum Vergleich: Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, in einem Jahr 400.000 neue Wohnungen zu schaffen und realisierte gerade mal die Hälfte“, mahnt Sassen. Im Bereich des Gewerbe- und Logistikflächenbedarfs für unsere Industrie ergibt sich ein vergleichbares Bild: Durch die Wiederverwendung und Sanierung von Bestandsliegenschaften können wir den Flächenbedarf decken und gleichzeitig unsere Klimaziele erreichen.“

Um die Bestandssanierung zu erleichtern, bräuchte es etwa eine Flexibilisierung von Abstandsflächen, Erweiterungen und Standardlösungen für Brand und Schallschutz, auch müsse bspw. die Stellplatzforderung entfallen, fordert die DUH.

Architects for Future fordern eine MusterUMbauordnung

Architects for Future (A4F) forderten bereits 2021 in einem Aufruf an die Bundesregierung eine Aktualisierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Bauen im Bestand, mit dem Vorschlag, die Musterbauordnung (MBO) zu einer MusterUMbauordnung zu entwickeln. Die Bauexperten hatten konkrete Vorstellungen und Änderungsvorschläge ausgearbeitet: Die reichen von finanziellen Vorteilen für das Bauen im Bestand bis hin zu besseren Recyclingbedingungen wie der Einbau-Erlaubnis gebrauchter Materialien, ein verpflichtender wertschätzender Umgang mit den Ressourcen Fläche und Material sowie ein kreislauffähiges Bauen.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen seien wesentlicher Teil dieser Hürden, sagen die Architekten mit viel Praxiserfahrung. Durch bessere Sanierungs-, Umbau-, bzw. Erweiterungsmöglichkeiten sowie flexiblere Nutzungsmöglichkeiten sollten Bauherren auch die Sicherheit bekommen, dass ihre nachhaltig umgebaute Immobilie in den nächsten Jahrzehnten werthaltig und gut vermietbar bleibt. Und für die Bewohner schaffe eine nachhaltige Sanierung höhere Behaglichkeit sowie langfristig niedrigere Kosten.

Eine Bestandssanierung bewahrt und verwendet die im Material gespeicherte graue Energie. und vermindert den Bedarf an energieintensiven und klimaschädlichen Baustoffen wie Beton und Stahl, heißt es im Arbeitspapier der Architekten. Zudem verhindere es Gentrifizierung und Verdrängung in Ballungsräumen, die mit Abriss und Neubau oftmals einhergehen – und begegne so sozialen Spannungen.

Die Politik müsse dafür klare regulatorische Rahmenbedingungen schaffen. Dies umfasse Vorgaben, die den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden in die wirtschaftliche und ökologische Bewertung verbindlich einbeziehen und zum Standard in Genehmigungsprozessen machen. Es gelte den Erhalt von Gebäuden zu erleichtern und ökonomisch attraktiver zu machen. Sanierung darf nicht teurer sein als ein Neubau.

Energetische Sanierung und Umnutzung statt Abriss und Neubau

„Die meisten Gebäude kann man erhalten“, sagt auch Tim Sassen aus seiner Praxiserfahrung. In vielen Innenstädten herrsche starker Druck auf die Wohnungsmärkte, Bürogebäude stehen nach Corona teilweise leer – die könne man bspw. zu dringend benötigten Wohngebäuden umnutzen.

In Duisburg etwa habe das Unternehmen ein Kaufhaus Baujahr 1939 zu einem Bildungsinstitut und Pflege-Immobilie umgenutzt. Die Sanierung der 6.000 Quadratmeter Fläche habe nur sieben Prozent neue Ressourcen im Vergleich zu einem Abriss und Neubau benötigt. In Essen wurde das Gebäude der ehemaligen Funke-Druckerei saniert und damit 30.000 Quadratmeter Gebäude aus Stahlbeton erhalten. Damit wurden laut eigener Rechnung rund 27.000 Tonnen CO2 eingespart, im Vergleich zu einem Neubau.

Verschwendungskultur stoppen

Oft würden als Argument für einen Abriss verbaute Schadstoffe oder Probleme mit der Statik genannt, so Sassen weiter. Gründe, warum es nicht geht, gebe es immer genug, es gelte Wege aufzeigen, was geht. Und das meiste geht, sagt der Projektentwickler. Energetisch Sanieren sei dabei notwendig, um die Energiebilanz zu verbessern.

Zudem wurde in den letzten Jahren viel abgerissen, um neue Baugrundstücke zu schaffen für den Neubau – die liegen jetzt häufig brach, weil mit gestiegenen Bauzinsen Geld sowie Ressourcen für den Neubau fehlen – das wäre nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch ein grober Fehler.

Die Öffentliche Hand gehe teilweise mit schlechtem Vorbild voran, wie einige Beispiele zeigen. Eines davon ist der fast komplette Abriss mit Wiederaufbau einer Siedlung in München/Moosach mit 14 Wohnblocks. 12 werden abgerissen und neu gebaut, zwei wurden saniert. Die bestehenden Grünflächen und der Baumbestand zwischen den Gebäuden werden im Zuge der Baustelle auch vernichtet. Hier komme die Stadt München ihrer Vorbildrolle nicht nach, so die DUH.

Mit dem Abriss werden nicht nur Ressourcen und Material, sondern auch Geschichte und gerade bei Siedlungsbauten die Wohnstruktur und ein intaktes Miteinander zerstört, mahnt die DUH. Wir brauchen einen Perspektivwechsel, so Metz, wir leben in einer Verschwendungskultur. Dabei forderten Teile der Immobilienwirtschaft sogar eine Abrissprämie, um Neubau schaffen zu können – das wäre absurd. Und die Beispiele seien ja ohnehin nur kleiner Ausschnitt des Abriss-Desasters. na
Hier geht’s zu den Abriss-Beispielen


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