COP28: „Es sitzen nicht alle Perspektiven gleichberechtigt am Verhandlungstisch“
Die Klimakonferenz tritt in die heiße Phase. Wie wahrscheinlich ist ein Ausstieg aus fossilen Energien und wer findet auf der COP Gehör? Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger und Fridays for Future-Aktivistin Clara Duvigneau haben Antworten.
09.12.2023 – Offiziell noch bis zum 12.12. laufen die Verhandlungen auf der 28. Weltklimakonferenz in Dubai, in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Inzwischen treffen die Minister:innen der Länder ein, um die finalen Verhandlungen für einen möglichen Beschluss auf der COP zu führen. Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger von Bündnis 90/die Grünen ist Teil der deutschen parlamentarischen Delegation vor Ort. Clara Duvigneau ist mit einem Team weiterer Fridays for Future-Aktivist:innen angereist, um dort parteiunabhängig für ihre Anliegen einzustehen.
Frau Duvigneau, Frau Henneberger, wie bewerten Sie das Agieren des COP-Präsidenten Sultan al-Jaber in den letzten Tagen auf der Klimakonferenz?
Clara Duvigneau: Al-Jaber hat vor ein paar Tagen behauptet, dass keine wissenschaftliche Studie belegen würde, dass der Ausstieg aus fossilen Energien nötig wäre, um 1,5 Grad erreichen zu können. Dass ein Ausstieg aus fossilen Energien uns zurück in die Steinzeit bringen würde. Diese Aussage ist absurd und verkennt die Realität der Klimakrise vollständig. Auch wenn er ein paar Tage später wieder ein wenig zurückgerudert ist, sind diese Aussagen sehr repräsentativ für den großen Einfluss der fossilen Lobby hier vor Ort. Wir können die Klimakrise nur stoppen, wenn wir jetzt aus fossilen Brennstoffen aussteigen. Umso mehr müssen wir Klimaaktivist:innen uns für einen vollständigen Ausstieg aus fossilen Energien, einen „phase out“ einsetzen.
Kathrin Henneberger: Auf der COP26 in Glasgow hatten wir ja schonmal die Situation, dass in Bezug auf Kohle in den letzten Minuten der Verhandlung aus einem phase out lediglich ein „phase down“ gemacht wurde. Auch im aktuellen Verhandlungstext finden sich die unterschiedlichsten Formulierungen, um die debattiert wird, von einem Ausstieg aus allen fossilen Energien, also auch Öl und Gas, bis hin zu gar keiner Formulierung zu diesem Thema. Problematisch wäre es schon, wenn zwar der Ausstieg aus fossilen Energien beschlossen wird, es aber für fossile Unternehmen ein Hintertürchen geben würde, mithilfe von CCS (Anm. d. Red.: Carbon Capture Systeme, fangen in der Produktion anfallende Treibhausgase ab und speichern diese) ihr Geschäftsgebaren weiterzuführen.
Zu Beginn der Klimakonferenz sorgte al-Jaber, gemeinsam mit Deutschland, aber erstmal für gute Nachrichten, als sie 200 Millionen US-Dollar Startkapital für den Loss and Damage Fonds bereitstellten. Woraufhin weitere Staaten nachzogen. Ist al-Jaber nicht auch gewillt am Ende der COP für gute Nachrichten zu sorgen?
Henneberger: Für die Vereinigten Arabischen Emirate ist es ein großer Unterschied, auf der einen Seite 100 Millionen US-Dollar für einen Fonds bereitzustellen und auf der anderen Seite ihre fossile Infrastruktur weiterzubetreiben. Ein COP-Präsident, der zugleich Chef der staatlichen Ölgesellschaft ADNOC ist, wird, befürchte ich, versuchen dieses fossile System aufrechtzuerhalten. Zugleich war es aus Perspektive der deutschen Bundesregierung wichtig mit diesem gemeinsamen Vorgehen beim Loss and Damage Fonds eine Brücke zu den VAE zu bauen, die sich positiv auf die weiteren Verhandlungen auswirken könnte. Es muss aber auch gesagt werden, dass die Gelder, die jetzt für den Fonds zusammengekommen sind, bei weitem nicht ausreichen. Umso mehr muss Deutschland gemeinsamen mit der Europäischen Union jetzt für einen vollständigen Ausstieg aus fossilen Energien einstehen, um noch schlimmere Schäden und Verluste, insbesondere für den Globalen Süden, abzuwenden.
Gemeinsam mit aktuell 105 weiteren Staaten will sich Deutschland für einen kompletten Ausstieg stark machen. Ein Land des Globalen Südens wie Uganda gehört aber noch nicht dazu. Regierungsvertreter:innen verweisen auf die wirtschaftliche Entwicklung, die die Förderung fossiler Energien nötig mache.
Henneberger: Ich finde es sehr wichtig darauf zu hören, wie die Zivilgesellschaft in Uganda und anderswo auf diese Thematiken blickt. In Uganda geht es vor allem um den Bau der neuen EACOP-Pipeline, die Öl von Förderstätten am Albertsee in Uganda zu einem Ölterminal nach Tansania bringen soll, um den Weltmarkt zu versorgen. Das nützt vor allem der Regierung Ugandas und den beteiligten Ölfirmen, etwa Total Energies aus Frankreich. Den Menschen in den betroffenen Regionen selbst drohen hingegen Umweltverschmutzungen und die eskalierende Klimakrise, die das EACOP-Projekt weiter anheizt. Viele Menschen dort werden weiterhin unter Energiearmut leiden. Statt solcher Projekte, müssen wir den Menschen vor Ort auf Augenhöhe begegnen. Es gibt auf dem afrikanischen Kontinent in so vielen Regionen Unternehmen, die sich dafür engagieren dezentrale, erneuerbare Projekte aufzubauen. Die gilt es zu unterstützen.
Duvigneau: Letztes Jahr, auf der Klimakonferenz im ägyptischen Scharm El-Scheich, haben wir als deutsche Klimaaktivist:innen mit Klimaaktivist:innen aus Senegal eine Allianz für den Stopp von fossilem Gas gegründet. Die von Deutschland geplanten Investitionen für die Förderung von Gas im Senegal wurden durch unsere Allianz vorerst gestoppt. Das zeigt, dass Protest funktioniert. Es ist wichtig, dass Länder des Globalen Südens die Möglichkeit bekommen, sich weiterzuentwickeln und Wohlstand zu generieren. Man muss aber auch vor Ort genau hinhören, dann ist es manchmal ähnlich wie in Deutschland. Die Haltung der Zivilgesellschaft unterscheidet sich teilweise massiv von dem, wie die Regierung agiert. Im Senegal z.B. hatte die Regierung ein großes Interesse an dem deutschen Gasprojekt. Unser Protest hat jedoch gezeigt, die Bevölkerung vor Ort möchte keine weiteren fossilen Deals. Wir müssen sehr genau hinschauen, wer Interesse hat, fossile Kontinuitäten aufrechtzuerhalten.
Laut Auswertungen von Umweltverbänden sind mindestens 2.456 Lobbyist:innen fossiler Unternehmen auf der COP zugegen. Wie sehr ist deren Einfluss spürbar?
Duvigneau: Angesichts des Gastgebers, den VAE, ist diese noch nie dagewesene Zahl an fossilen Lobbyist:innen in meinen Augen nicht verwunderlich. In den Verhandlungen wird von einigen Staaten relativiert, was die negativen Auswirkungen fossiler Energien sind. Es wird sich hinter Formulierungen verstecken, um so weiterzumachen wie bisher. Auf der COP kann ein Wort darüber entscheiden, wie ambitioniert Klimaschutz auf der ganzen Welt umgesetzt wird. Klimawissenschaftler:innen haben bereits vor Jahrzehnten festgestellt, wir müssen aus fossilen Energien aussteigen. Dass hier trotzdem über Hintertürchen und Scheinlösungen gesprochen wird, zeigt, dass eindeutige Wirken fossiler Lobbyist:innen. Diese sind mit unglaublich großen finanziellen Kapazitäten ausgestattet. Wir dagegen machen unsere Arbeit vollständig ehrenamtlich, um all diesen Lobbyist:innen entgegenstehen.
Empfinden Sie ein großes Ungleichgewicht ihre Interessen zu artikulieren?
Duvigneau: Ich finde es unangemessen in diesem Kontext etwas gewichten zu wollen. Wir Aktivst:innen setzen uns dafür ein, dass unsere Lebensgrundlagen erhalten bleiben und alle Menschen Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen haben. Die Auswirkungen der Klimakrise sorgen bereits heute dafür, dass Nahrungssicherheit und Ressourcenversorgung in manchen Ländern nicht mehr gewährleistet werden kann. Die Stimmen der Zivilgesellschaft sind daher nur repräsentativ für das, was die Menschen ohnehin umtreibt. Auf der anderen Seite heizen die finanzstarken fossilen Industrien die Klimakrise weiter an und sind vorrangig um ihren finanziellen Profit besorgt. Eigentlich ist es die Aufgabe der politischen Entscheidungsträger:innen sein, massiv dafür zu sorgen, die eigene Bevölkerung vor der Klimakrise zu schützen. Im Moment rasen wir auf eine 3 Grad heißere Welt zu und unsere Entscheidungsträger:innen schaffen es nicht, dem genug entgegenzuwirken.
Henneberger: Als Abgeordnete des deutschen Bundestages erhalte ich auch hier auf der COP sehr viele Einladungen und Versuche mit mir in Kontakt zu kommen, seitens Vertreter:innen fossiler Interessen. Ich wehre diese immer sehr klar ab. Aber natürlich gibt es andere politische Entscheidungsträger:innen die eher darauf eingehen, je nach dem auch in welchen Position und Empfänglichkeiten die Politiker:innen stecken. Das ist eine Art von Lobbyismus, der im Stillen passiert und umso gefährlicher ist. Lobbyismus der Klimagerechtigkeitsbewegung dagegen ist meist laut und bunt, in Form von vielfältigen Aktionen.
Sind die Möglichkeiten für vielfältigen und bunten Protest auf der COP gegeben?
Duvigneau: Hier auf dem Gelände der COP gilt UN-Recht. Proteste dürfen stattfinden, müssen aber angemeldet werden und finden unter speziellen Auflagen statt. Es dürfen zum Beispiel keine Namen, Länder oder Firmen genannt werden. Wenn ich die Bundesregierung kritisieren will, muss ich diese umschreiben, etwa mit „der Regierung des Landes, aus dem ich komme“. Wir haben bereits kleinere Demos und Aktionen durchgeführt, hier auf dem Messegelände der COP. Außerhalb wäre das nicht möglich. Protestaktionen in den VAE werden grundsätzlich nicht geduldet.
Henneberger: Hier gibt es praktisch keine unabhängige Zivilgesellschaft. Menschenrechtsaktivist:innen aus den VAE sitzen entweder im Gefängnis oder sind im Exil. Familienmitglieder dieser Aktivist:innen haben Angst sich zu äußern. Das ist alles nochmal restriktiver als im letzten Jahr in Ägypten. Auch wenn die Überwachung seitens der Sicherheitsbehörden dort präsenter war. Hier in den VAE machen wir uns auch um unsere digitale Kommunikation sorgen. Wir mussten vor unserer Ankunft in Dubai unsere Handys und Laptops zusätzlich sichern lassen, um die digitale Überwachung zumindest zu erschweren. Neben meiner parlamentarischer Arbeit, in der es vor allem um die Entwicklung von Projekten und Positionen mit Parlamentarier:innen aus aller Welt geht, bin ich hier auch als offizielle Beobachterin vor Ort, die zivilgesellschaftliche Akteure unterstützt gegen Repressionen anzugehen. Das gilt auch für Akteure aus dem Globalen Süden und hier insbesondere indigene Gemeinschaften, die mit am härtesten von der Klimakrise betroffen sind. Gerade einmal 316 indigene Vertreter:innen haben aus unterschiedlichen Gründen Zugang zur COP bekommen. Im Vergleich zu der Anzahl fossiler Lobbyist:innen macht das nochmal deutlich, wo ein Grundproblem der Klimakonferenzen liegt: Nicht alle Perspektiven sitzen gleichberechtigt am Verhandlungstisch. Dagegen versuchen wir anzugehen und den Menschen des Globalen Südens und deren Sorgen mehr Gehör zu geben.
Das Interview führte Manuel Grisard