Menü öffnen

BrasilienAmazonas-Regenwald auf der Kippe

Abgeholzte Waldfläche im Amazonasgebiet
Natürliche und menschengemachte Klimaphänomene setzen dem Amazonas-Regenwald zu. Abgeholzt wird noch immer viel zu viel, für Landwirtschaft, Fossile und Bergbau (Bild: Amazônia Real from Manaus AM, Brasil / CC BY 2.0 / via Wikimedia Commons).

Der Amazonas-Regenwald leidet in diesem Jahr unter einer ungewöhnlich starken Trockenzeit. Die ehemalige Kohlenstoffsenke stößt immer mehr CO2 aus. Werden Entwaldung und Klimawandel nicht gestoppt, könnte der Regenwald langfristig kippen.

21.12.2023 – Obwohl die Trockenzeit des Amazonas-Regenwaldes gewöhnlich im November endet, ist bisher noch kein Regen in Sicht. Forscher gehen davon aus, dass ungewöhnlich warme Strömungen im Pazifik in Kombination mit den Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels dafür verantwortlich sind.

„Neben den starken Auswirkungen des Klimaphänomens El Niño werden die zunehmend auftretenden Dürren in der Amazonasregion sowohl durch den globalen Klimawandel als auch die fortschreitende Entwaldung verstärkt“, erklärt Jan Börner, Professor für Ökonomik Nachhaltiger Landnutzung und Bioökonomie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Als El Niño wird eine unregelmäßig auftretende Veränderung der Meeresströmungen im äquatorialen Pazifik bezeichnet, die zu hohen Temperaturen des Oberflächenwassers führt.

Abgeholzt

Über die Hälfte des Regenwaldes befindet sich in Brasilien. Anfang der 2000er Jahre stieg die Rodung im Amazonas-Gebiet unkontrolliert an. Brasiliens damaliger – und wieder aktueller – Präsident Lula führte daraufhin eine sattelitengestützte Überwachung ein und etablierte eine bindende Kartografie der Besitzansprüche im Amazonas-Gebiet. Seither belegen Daten die traurigen Höchstwerte der Abholzung für Landwirtschaft, Bergbau und Energiegewinnung. Besonders stark stieg die Endwaldung in der Amtszeit Bolsonaros von 2019 bis 2022 an. Nach derzeitigen Schätzungen ist ein Fünftel des Amazonas-Regenwaldes bereits verschwunden.

Lula implementiert derzeit eine ambitionierte Umweltpolitik und hat es sich zum Ziel gesetzt, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen. „Der Tropenwaldverlust in der brasilianischen Amazonasregion ist in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2019 wieder rückläufig“, sagt Börner. „Im Vergleich zum Vorjahr sank die Entwaldungsrate im ersten Jahr der Lula-Präsidentschaft um 22 Prozent.“

Der Amazonas-Regenwald umspannt Gebiete in Brasilien, Bolivien, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru, Surinam und Venezuela. Die Länder einigten sich im Sommer beim ersten Treffen seit 14 Jahren in der Organisation der Kooperation im Amazonasgebiet (OTCA) darauf, eine Allianz zur Bekämpfung der Abholzung des gemeinsamen Regenwaldes zu bilden.

Wälder brennen für Bergbau, Fossile und Fleisch

Laut einer Studie aus dem Jahr 2021 regne es in stark abgeholzten Regionen deutlich weniger, so Börner. „Die Ertragsverluste, die der Landwirtschaft dadurch entstehen, sind schon jetzt höher als die möglichen Gewinne bei der Ausdehnung von Produktionsflächen auf Kosten des Waldes.“

Die Europäische Union ist der größte Handelspartner Brasiliens. Die europäischen Länder verabschiedeten kürzlich ein Lieferkettengesetz, dass neben besseren Sozialstandards auch die Wälder besser schützen soll. Auch beim Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten will die EU auf Bestimmungen gegen Entwaldung pochen. Dies allein werde aber wohl kaum ausreichen, kritisiert Börner. „Auch wenn wir nur noch aus Regionen mit geringem Entwaldungsrisiko importieren, wird unsere Nachfrage weiterhin die Weltmarktpreise und damit den Anreiz zur Umwandlung von Naturflächen beeinflussen.“

Über 90 Prozent der Entwaldung in Brasilien passiere weiterhin illegal. Der Tropenwald, nicht nur in Brasilien, brauche finanzielle Unterstützung bei der Bekämpfung illegaler Entwaldung und direkte Anreize für eine ökologisch nachhaltige Agrar- und Forstwirtschaft.

Der Wald stößt immer mehr CO2 aus

Der Amazonas-Regenwald wird oft als grüne Lunge der Erde bezeichnet, da er große Mengen an CO2 gebunden hat. Stirbt der Wald ab, würde das gebundene CO2 in kurzer Zeit in die Atmosphäre abgegeben, was die Erderwärmung weiter beschleunigen würde.

Im Sommer 2021 meldeten Wissenschaftler erstmals, der Amazonas-Regenwald sei gekippt. Der Regenwald stieß also mehr CO2 aus, als er aufnahm. „In einigen Regionen ist der Amazonas-Regenwald noch immer eine Kohlenstoffsenke, nimmt also CO2 auf. In anderen Teilen – besonders im Südosten – gibt er jedoch aufgrund von Entwaldung und Klimaveränderungen CO2 an die Atmosphäre ab“, erläutert Boris Sakschewski, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department Earth System Analysis, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam.

Die Resilienz des Regenwaldes hat über die letzten 20 Jahre drastisch abgenommen. Mehr als drei Viertel des Amazonas-Regenwaldes erhole sich zunehmend schlechter von Dürren und Bränden. Die Forscher beobachteten auch, dass Waldgebiete, die sich näher an menschlichen Siedlungen befinden oder besonders trocken sind, weniger Widerstandsfähigkeit aufweisen. Diese Merkmale weisen darauf hin, dass der Wald sich bereits in einer kritischen Übergangsphase zum Absterben befinden könnte.

Kippelement Amazonas-Regenwald

Wissenschaftler warnen seit einiger Zeit, dass der Regenwald sich einem dauerhaften Kipppunkt nähern könnte. Bei Kipppunkten handelt es sich um Auswirkungen der Klimakrise auf die Umwelt, die eine Art Dominoeffekt hervorrufen. Kippt ein Element in einen anderen Zustand, so hat dies einen Rückkopplungseffekt auf das Klima anderer Elemente, die tausende Kilometer entfernt liegen können. Eine Reihe weiterer, schwer kalkulierbare Veränderungen der Ökosysteme mit drastischen Konsequenzen für Mensch und Umwelt sind die Folge.

„Der Kipppunkt des Amazonas-Regenwaldes in Bezug auf den Klimawandel wird aktuell zwischen zwei und sechs Grad Celsius angegeben, insbesondere weil bei diesem Level der Erwärmung die Anzahl der Dürreperioden bis Ende des Jahrhunderts zwei- bis viermal häufiger werden können“, ordnet Sakschewski ein. „Darüber hinaus kann Abholzung im Amazonas-Regenwald dazu führen, dass der Regenwald durch ausbleibenden Feuchtigkeitstransport kippt.“ Forscher befürchten, dass große Teile des Regenwaldes zur Savanne werden könnten, wenn ein kritischer Schwellenwert überschritten wird. Julia Broich


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft