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Jahresrückblick – erster TeilDie Bundesregierung in stürmischen Gewässern

Ein Gebäude im Regen, vom Innern eines Auto aus fotografiert
Das Bundeskanzleramt war in diesem Jahr oftmals Ort hitziger Debatten um Energie- und Wärmewende (Bild: Dirk Ingo Franke, flickr, CC BY-SA 2.0 Deed)

Nicht immer blieb die Ampel auf Kurs, aber der Ausbau Erneuerbarer Energien sowie weitere Gesetze und Förderungen wiesen 2023 in die richtige Richtung. Dann kam das Urteil zum Haushalt und die Karten wurden neu gemischt.

21.12.2023 – Binnen Jahresfrist 2023 könnten 14 Gigawatt Photovoltaik in Deutschland installiert worden sein, ein Rekord. Noch nie wurden in einem Jahr so viele neue Solaranlagen in Betrieb genommen.  Bereits Ende Oktober war die kumulierte Menge von 80 Gigawatt beinahe erreicht. Dennoch ist das Ziel von 215 Gigawatt kumulierter Leistung im Jahr 2030 kein Spaziergang, sondern erfordert weiter politische Unterstützung. Die im Solarpaket 1 vorgesehenen Erleichterungen wurden leider nicht wie geplant vom Bundestag beschlossen, ein Kollateralschaden aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds.

Damit bestehen Hemmnisse fort, die eigentlich im Konsens aller Akteure beseitigt werden sollten. Beschlossen wurde lediglich das „Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zur Vermeidung kurzfristig auftretender wirtschaftlicher Härten für den Ausbau der erneuerbaren Energien“, das fast ausschließlich die Windenergie betrifft. Sowohl für die Implementierung der bedarfsgesteuerten Nachtkennzeichnung (BNK), als auch für die Realisierung von Windenergie-Projekten sollen nun längere Fristen gelten. Das ist gut für die Windenergie, für die Photovoltaik aber eine Enttäuschung: Ein kleiner Windbeutel, statt eines großen Solarpakets, wie BSW-Geschäftsführer Carsten Körnig kommentierte.

Zu gering, aber im Aufwärtstrend sind die Ausbauzahlen bei der Windkraft an Land. Zu Jahresbeginn betrug die installierte Leistung 58 Gigawatt. Ende Oktober 2023 waren es bereits knapp über 60 Gigawatt. Damit übertraf der Zubau nach drei Quartalen bereits den Gesamtzubau 2022. Bei der regionalen Betrachtung gibt es weiterhin ein starkes Nord-Süd-Gefälle. In der Südregion wurden lediglich sieben Prozent der Neuanlagenleistung erreicht. Über ein Drittel der neuen Windkraftanlagen steht in Schleswig-Holstein. Die Fachagentur Wind schätzt, dass der Zubau im Jahr 2023 erstmals seit 2017 wieder die 3-Gigawatt-Schwelle überschreiten könnte.

Bei den bezuschlagten Wind-Projekten in Ausschreibungen zeigt der Trend noch deutlicher nach oben. Die Zuschlagsmenge war im Jahr 2023 doppelt so hoch wie im Vorjahr und belief sich auf rund 6.400 Megawatt. Allerdings – und das ist die Kehrseite der Medaille – waren alle vier Ausschreibungsrunden in diesem Jahr unterzeichnet. In der letzten Runde für Windenergieanlagen an Land zum 1. November war jedoch die Unterzeichnung nicht ganz so gravierend. 2.087 Megawatt waren ausgeschrieben, 165 Gebote mit einer Zuschlagsmenge von 1.9676 Megawatt erhielten einen Zuschlag. Um die Energiewende zu schaffen, die Kohleenergie endlich aus dem Strommix zu drängen und nur wenige Gaskraftwerke betreiben zu müssen, muss die Windkraft noch deutlich stärker ausgebaut werden.

Erstmals über die Hälfte des Stroms in Deutschland erneuerbar

Mehr Strom aus Solar- und Windenergieanlagen lässt im Jahr 2023 den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in Deutschland erstmals auf über 50 Prozent steigen. Etwa fünf Prozent mehr Strom als im Vorjahr wurde aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Weil der gesamte Strombedarf im Jahr 2023 zurückging, steigt der Anteil erneuerbarer Energien deutlich und wird die 50-Prozent-Marke übertreffen. In den letzten Jahren lag der Anteil bei 46 Prozent (2022) und 41 Prozent (2021). Solar- und Windenergie steuern etwa 75 Prozent des gesamten erneuerbaren Stroms bei. Das restliche Viertel der Stromerzeugung kommt aus Biomassekraftwerken und Wasserkraftanlagen, sowie zu einem sehr geringen Teil aus Geothermieanlagen. Insgesamt lag die erneuerbare Strommenge im Jahr 2023 bei etwa 268 TWh.

Energie in Gemeinschaft erzeugen und nutzen

Landauf landab organisieren sich Bürger und Bürgerinnen in Energiegenossenschaften, um gemeinsam neue Erneuerbare Erzeugungsanlagen zu errichten. Sie können inzwischen auf ein breites Unterstützungsangebot zurückgreifen. Dennoch – die Arbeit vor Ort in einer Genossenschaft ist oft ehrenamtlich, die gesetzlichen Grundlagen kompliziert, die Mitstreiter bunt gemischt mit sehr verschiedenen Vorkenntnissen und Anliegen. Junge, engagierte Köpfe sind gesucht, die das Potenzial und den partizipativen Charakter in ihrer Generation in die Breite tragen.

Die Interessenvertretung der Bürgerenergie, das Bündnis Bürgerenergie, engagiert sich seit Jahren für eine gesetzliche Weichenstellung, die das Energy Sharing in Deutschland erleichtert. Strom aus genossenschaftlichen Anlagen soll auch gemeinschaftlich genutzt werden können, ohne dass zu viele Pflichten und Vorgaben das Procedere so teuer machen, dass es unwirtschaftlich ist. Mit einem eigenen Konzeptvorschlag trat das Bündnis in diesem Jahr an die Öffentlichkeit. Vorgeschlagen wurde ein Prämienmodell, dass den zeitgleich zur Erzeugung genutzten Strom aus einer gemeinschaftlichen Anlage mit einer Prämie besserstellt. Das Modell des BBEn zielt vor allem auf die Akzeptanz auch größerer Anlagen.

Kurz darauf trat der Bundesverband Neue Energiewirtschaft mit einem eigenen Vorschlag auf: Sein Modell ist einfacher, aber eher auf kleinere PV-Anlagen hin optimiert – ein Segment, in dem der Zubau ohnehin boomt und die Akzeptanz groß ist. Das Modell des bne schlägt für Strom, der zeitgleich zur Erzeugung genutzt wird, ein verringertes Netzentgelt vor. Im Wirtschaftsministerium stand das Energy Sharing auf der politischen Agenda, leider kam es nicht wie erwartet zu einem ersten politischen Vorschlag. Hier hoffen Bürgerenergiebewegte auf Entscheidungen im kommenden Jahr.

Aus Brüssel könnten 2024 weitere Beschlüsse zum Energy Sharing folgen. Im Rahmen der EU-Strommarktreform soll auch der Rechtsrahmen für Energy Sharing erweitert werden.

Startschuss Wärmewende – Heizungsgesetz bringt Ampel ins Schwitzen

Ende November hat der Bundestag das Gesetz zur Wärmeplanung verabschiedet. Es ergänzt die im September beschlossene Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG)  und tritt am 1. Januar 2024 in Kraft – mit dem Ziel, den Wärmesektor bis 2030 zu 50 Prozent zu dekarbonisieren. Kein Gesetz der Ampelregierung hat jedoch für solchen Wirbel gesorgt wie das GEG, auch Heizungsgesetz genannt. An der Frage, welche Rahmenbedingungen gesetzt werden sollten, zerstritt sich die Koalition, einige Medien schürten Ängste und Wut bei den Bürgern.

Das Gesetzesvorhaben wurde entsprechend entschärft. Vor der individuellen Pflicht zur Dekarbonisierung der Heizung – also der Pflicht, fossile Heizsysteme gegen erneuerbare zu tauschen – kommt nun die kommunale Wärmeplanung. Die Verpflichtungen zum Einsatz von erneuerbarer Wärme gelten damit ab den Jahren 2026 bzw. 2028, viele Verbraucher müssen aber bis dahin einen Heizungstausch angehen. Und auch die Wärmenetze müssen in Zukunft dekarbonisiert werden. Wie das in vielen Kommunen finanziert werden soll, ist noch unklar.

Kontraproduktive Förderpause – Bausektor besorgt

Mit dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) sollten milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz und den damit verbundenen Umbau der Wirtschaft gesichert werden. Rund 18,8 Milliarden Euro waren u. a. für die Bundesförderung energieeffiziente Gebäude inklusive der sozialen Abfederung des neuen Gebäudeenergiegesetzes vorgesehen. Da ist es besonders kontraproduktiv, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) wegen der Ausgabensperre im Bundeshaushalt einige Förderprogramme vorläufig auf Eis legt.

Für den Bau- und Wärmesektor heißt das: Die Fördermittel für effiziente Wärmenetze (BEW), Gebäude-Energieberatungen, Aufbauprogramm Wärmepumpe (Zuschüsse zur Schulung von Handwerkern), serielle Sanierungen und klimafreundliche Kältemittel werden ausgesetzt. Nicht betroffen von der Antragspause ist zunächst die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG), mit der auch der Heizungstausch staatlich unterstützt wird – und die in den kommenden Monaten optimiert werden sollte, was nun auch in den Sternen steht.

Auch den Neubau trifft es: Die KfW stoppt überraschend das Förderprogramm klimafreundlicher Neubau KFN. Haushaltsmittel sind erschöpft, eine Antragstellung ist nicht mehr möglich – erst wenn der Bundeshaushalt 2024 wieder in Kraft tritt.

EU-Richtlinie zur Gebäudeeffizienz

Indes haben sich im Dezember EU-Rat und -Parlament auf neue Regeln zur Energieeffizienz von Gebäuden in der gesamten EU geeinigt. Besonders ineffiziente Wohn- und Nichtwohngebäude sollen vorrangig energetisch saniert und mit Förderungen unterstützt werden. Bis 2035 soll der durchschnittliche Primärenergieverbrauch von Wohngebäuden in Europa um rund ein Fünftel sinken. Für Neubauten ab 2030 soll Nullemissions-Standard gelten, bis 2050 auch der Bestand auf diesem Niveau energetisch saniert werden.

Eine Herkulesaufgabe – denn aktuell sind etwa 35 Prozent der Gebäude in der EU älter als 50 Jahre und fast 75 Prozent des Gebäudebestands nicht ausreichend energieeffizient. Die durchschnittliche jährliche Sanierungsquote in der EU liegt bei einem Prozent. In Deutschland liegt sie derzeit sogar noch niedriger: Die Quote energetischer Sanierung im Gebäudebestand fällt laut Marktdatenstudie der B+L Marktdaten Bonn im Auftrag des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle zum Jahresende 2023 weiter auf ein Allzeittief von 0,72 Prozent.

Die allgemeine Annahme einer Sanierungsquote in Deutschland von rund einem Prozent wird derzeit also nicht mal erreicht – dabei wäre sogar eine Sanierungsquote von rund zwei Prozent notwendig, um die Klimaziele im Jahr 2030 für den Gebäudesektor zu realisieren. Bis 2050 sollte laut Bundesregierung der Bestand von derzeit 22 Millionen Gebäuden, davon 19 Millionen Wohnhäuser, nahezu klimaneutral sein. Dazu müssten jährlich mindestens zwei bis drei Prozent der Gebäude energetisch ertüchtigt werden.

Sanierung statt Abriss und Neubau

Dem angespannten Wohnungsmarkt in Ballungsgebieten will derweil der Bundeskanzler begegnen, indem in solchen Gebieten ganze Stadtteile neu errichtet werden sollen, am besten hoch gestapelt, verdichtet und möglichst billig. Die Grünen im Bundestag widersprechen dem Kanzler und plädieren für Umbauen und Sanieren, Aufstocken, Dachgeschosse ausbauen, Lücken füllen und Leerstandflächen nutzen.

Über 14.000 Gebäude werden in Deutschland jährlich abgerissen – ohne verpflichtende Genehmigung und Prüfung der Klimafolgen, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Das verursacht tonnenweise CO2 und Müll. Die DUH fordert ein Abrissmoratorium. Laut Hochrechnungen der DUH vermeidet die Sanierung eines bestehenden Gebäudes ein Drittel der Emissionen eines Neubaus. So könnten jährlich in Deutschland rund 1,1 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Eine neue DIN-Norm legt nun einen Standard fest, der helfen soll, Bauprodukte zu identifizieren, die sich ideal für eine erneute Verwendung eignen – um der dringend notwendigen Kreislaufwirtschaft im Bausektor ein gesetzliches Fundament zu geben.

Hier geht es zu unserem zweiten Teil des Jahresrückblicks: Fossile Energien im Angesicht von Klimakatastrophen

Die Redaktion der energiezukunft: Nicole Allé, Julia Broich, Petra Franke und Manuel Grisard


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